Tijuana Blues
elektrischen Hasen / in der Nacht Mexikos / verfolgend‹. Und dann bat ich, dass unter allen …«
»Dazu wollte ich Sie befragen«, fiel ihm Morgado ins Wort. »Erinnern Sie sich an eine Kneipe in der Avenida Revolución namens El Tecolote?«
Professor Vizcaíno schaute gen Himmel und bemühte Erinnerung und Fantasie. Von einem Thema zum anderen zu springen, war seine Spezialität, solange es mit Tijuana zu tun hatte. »Ich kann mich an jede einzelne Kneipe erinnern, inklusive derjenigen, die Sie gerade genannt haben. Was wollen Sie wissen?«
»Was für Leute verkehrten da im Dezember 1951? Wer arbeitete dort? Wer könnte mir das Ambiente von damals und die Gäste beschreiben?«
»Nun«, antwortete Mister Tijuana, »zu dieser Zeit habe ich zwar noch nicht in Baja California gelebt, aber als Handlungsreisender war ich des Öfteren in diesen Gefilden unterwegs. Ich mochte es, mit den Mädchen zu tanzen, mir an der längsten Theke der Welt einen hinter die Binde zu gießen und über die Revo zu ziehen. El Tecolote zählte nicht zu meinen Lieblingskneipen. Es war ein drittklassiges Lokal mit billigen Getränken und einem Pianisten, der richtig guten Jazz spielte. Ich meine, für die damalige Zeit. Die Kneipe war immer voller Landarbeiter und Gringos. Viele Drogenabhängige. Dünn, ausgezehrt, mit blasser Haut und hervorstehenden Augen. Und viele Tagelöhner oder solche, die es werden wollten. Ich ging wegen der Musik hin. Und weil ich mir hin und wieder eine Amerikanerin an Land ziehen wollte.«
»Waren Sie bei der Schießerei am 8. Dezember 1951 dabei?«
Professor Vizcaíno schüttelte den Kopf. »Da haben wir es. Schon wieder die schwarze Legende. Nein. Gott sei Dank war ich nicht dabei. Aber ich habe davon erfahren, weil ich zwei Tage später in Tijuana angekommen bin, am Tag der Jungfrau von Guadalupe, den entsprechend zu feiern man hier nie verstanden hat. Und in Mexicali noch weniger, wenn Sie mich fragen.«
»Im Moment, Professor, interessiere ich mich für Tijuana. Wer hat Ihnen von den Ereignissen erzählt?«
»Wer? Nun, daran kann ich mich nicht erinnern. Wahrscheinlich habe ich in der Zeitung davon gelesen.«
»Am 12. Dezember haben die Zeitungen bereits nichts mehr über die Schießerei geschrieben. Es muss Ihnen einer aus Ihrem Kundenkreis erzählt haben.«
»Nein. Über solche Sachen wurde mit meinen Käufern nicht gesprochen. Das waren Leute, die in ihrer eigenen Welt lebten: Bücher, Zeitschriften, Lexika. Es müssen andere Freunde gewesen sein.«
»Die von der Revo?«, hakte Morgado nach.
»Ja. Ich werde mich schon noch erinnern. Seien Sie unbesorgt. Ich weiß sehr wohl noch, dass der Gringo, der häufig ins Tecolote ging und dem ich ein Lexikon Englisch-Spanisch verkauft hatte, der Tote war.«
»Haben Sie eine Idee, was mit den anderen Gringos passiert ist, die anwesend waren, als die Polizei kam?«, fragte Leobardo.
»Ideen habe ich viele, aber in diesem speziellen Fall nicht. Aber jetzt weiß ich, wer mir die Geschichte erzählt hat: der Pianist Cesarín Osuna. Er hat alles gesehen.«
»Lebt er noch?«, wollte Morgado sofort wissen.
»Unkraut vergeht nicht. Und gutes auch nicht. Schauen Sie mich an. Sie finden ihn mit seiner Mundharmonika an der Ecke Avenida Revolución und Cuarta. Er ist zuckerkrank. Er hat beide Beine verloren. Sie werden ihn leicht erkennen. Er fahrt in einem gelben Rollstuhl herum. Sie können ihn nicht verfehlen. Auch wenn er ein alter Wüterich ist – immer wenn ich ihn treffe, gebe ich ihm ein Almosen. Wegen der alten Zeiten. Wegen Charlie Parker und dem unsterblichen guten Jazz. Wenn Sie ihn suchen, gehen Sie nach sieben Uhr abends dorthin. Vorher taucht er nicht auf. Und fassen Sie ihn mit Glacéhandschuhen an.«
»Hat er ein gutes Gedächtnis?«, fragte Leobardo misstrauisch.
»Für die Vergangenheit, ja. Für die Gegenwart, nein. Aber Sie beide interessiert doch die Vergangenheit. Für Cesarín sind die Fünfzigerjahre das goldene Zeitalter. Er lebt in dieser Zeit. Immer noch. Wie viele alte Männer aus Tijuana, die immer noch von den Hollywoodstars träumen. Von der Nacht, in der sie einen dieser Stars ins Bett gekriegt haben. Der Mythos. So einer ist Cesarín.«
»Und an wen denkt er da?«, fragte Leobardo, der sich für alles interessierte, was mit Hollywood-Babylon-Tijuana zu tun hatte. »An Rita Hayworth?«
»Um ehrlich zu sein«, erwiderte der Professor. »An Montgomery Cliff.«
»Jedem das seine«, sagte Morgado und dachte, dass Tijuana
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