Tim Burton: Der melancholische Magier. Mit einem Vorwort von Johnny Depp (German Edition)
an den Text des Buches zu halten. An Lindas Drehbuch hat mir gefallen, dass Alice sich hier zwischen Kindheit und Erwachsenendasein befindet. Zugleich wirkt sie – wie viele junge Leute – ihrem Alter weit voraus, weshalb sie auch nicht recht in ihre Kultur und ihre Zeit passt. Die Idee, Alice als stark nach innen gekehrte Figur darzustellen, die in der viktorianischen Gesellschaft aus dem Rahmen fällt, hat mich fasziniert. Ihre Schwierigkeiten rühren daher, dass die Gesellschaft von ihr verlangt, sich anzupassen. Sie versucht, ihren eigenen Weg zu finden, aber ihre Umgebung will sie in eine Schublade stecken und sie gängeln. Sie zieht sich deshalb von der Gesellschaft zurück. Das ist eine Erfahrung, die sicher viele Menschen machen, und einige wehren sich eben dagegen. Ich selbst habe es auch immer getan. Ich habe es nie hingenommen, wenn jemand versucht hat, mir etwas aufzuzwingen. Alice geht es genauso.
Tim Burton und Mia Wasikowska während der Dreharbeiten zu ALICE IM WUNDERLAND
Was Linda auch sehr schön eingefangen hat, ist dieser Traumzustand, in dem man leicht orientierungslos ist. Mir ist es auch schon passiert, dass derselbe Traum immer wiederkehrt. Das ist wie beim Zauberer von Oz – ebenfalls eine Geschichte, in der sich die Hauptfigur einer Fantasiewelt bedient, um sich mit ihren realen Problemen auseinanderzusetzen, um innerlich zu wachsen und ihren Weg im Leben zu finden. Träume funktionieren ähnlich: Die im eigenen Kopf erschaffenen Fantasiewelten helfen uns dabei, uns besser im Leben zurechtzufinden. Sei es nun Dorothy im Zauberer von Oz oder die Kinder in Narnia – sie alle unternehmen eine abenteuerliche Reise, die nicht real, sondern psychologisch ist. Diese Entdeckungsreise zu schildern ist eine der großen Stärken von Fantasy und Märchen. Und obwohl Märchen im Allgemeinen als unrealistisch betrachtet werden, sind sie für mich realistischer als vieles andere. Die Geschichte hat mich deshalb stark angesprochen.
Für die Hauptrolle suchte Burton nach einer relativ unbekannten Darstellerin. Castingdirektorin Susie Figgis sah sich erst eine ganze Reihe englischer Schauspielerinnen an, bevor sie ihre Suche auf die USA und andere Länder ausweitete. Schließlich fand sie die ideale Besetzung in der australischen Schauspielerin Mia Wasikowska.
Wir haben uns sehr viele Schauspielerinnen angesehen, aber Mia hat uns mit ihrer gefühlvollen, aber zugleich toughen Art überrascht. Sie wirkt sehr intelligent und selbstsicher, strahlt aber auch eine bestimmte Naivität aus, wie man sie oft bei Künstlern findet. Sie besitzt einen gewissen Ernst und scheint ihrem Alter voraus zu sein. Und weil man in dem Film mit Alice zusammen auf die Reise geht, brauchten wir jemanden, der das auf subtile Weise darstellen konnte.
Neben Alice ist wahrscheinlich der Hutmacher (engl. »Hatter« oder »Hatta«) die bekannteste Figur aus Lewis Carrolls Werk. Er taucht zum ersten Mal in dem Kapitel »Eine verrückte Teeparty« in Alice im Wunderland auf, wo er Alice darauf hinweist, dass sie einen neuen Haarschnitt brauche, und ihr ein Rätsel aufgibt. Für die Rolle des Hutmachers griff Burton einmal mehr auf Johnny Depp zurück.
Der Name »Mad Hatter« prägt sich einem sofort ins Gedächtnis. Er hat einfach einen tollen Klang. Und Johnny besitzt die Gabe, Figuren zu erschaffen, die zu ihrem Namen passen. In der ursprünglichen Geschichte ging der Name auf die Quecksilbervergiftung zurück, unter der Hutmacher häufig litten und die sie verrückt werden ließ. Das war unser Ausgangspunkt, um die Figur zu entwickeln. Wir sind also ein Stück weit von der Vorlage zurückgetreten und haben versucht, den Kern der Figur wieder sichtbar zu machen. Für mich war er so eine Art Besessener, jemand mit einem Tourette-Syndrom, der verschiedene Persönlichkeiten in sich trägt, die alle gleichzeitig reden wollen. Wir wollten dem Hutmacher eine relativ ungewöhnliche, extreme Persönlichkeit geben, damit er sich von den anderen Figuren im Film absetzt, die alle ziemlich verrückt sind. Jede der Figuren sollte eine bestimmte Ausprägung von Wahnsinn haben, damit nicht alle gleich sind.
Dass die Figuren ein bisschen verschroben sind, finde ich nur realistisch. So ist das eben in Träumen. Schöne Träume enthalten oft auch seltsame Elemente, und Albträume haben auch ihre angenehmen Momente. Die Traumlandschaft ist einfach merkwürdig. Darum ging es mir in dem Film: diesen Traumzustand darzustellen, in dem Fantasie und
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