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Timbuktu

Timbuktu

Titel: Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Strandball über den Rasen zu treiben. Jedesmal, wenn der Ball vor ihm davonrollte, rannte Tiger in vollem Tempo hinterher und sah aus wie ein irre gewordener Fußballer bei der Jagd nach einem Ball, der doppelt so groß war wie er selbst. Der Junge bekam gar nicht genug von dem Spiel, was nicht hieß, daß er nicht doch stolpern und sich den Zeh anstoßen konnte, und als der unvermeidliche Unfall schließlich geschah, stieß Tiger einen solchen Schmerzensschrei aus, daß sich die Sonne verfinsterte und die Wolken zu Boden stürzten. Die Frau beendete ihren gefühlvollen Liebesdienst, um sich um den Jungen zu kümmern, und als sie ihn hochnahm und ins Haus trug, wandte sich Alice an Mr. Bones und sagte: »So ist Tiger nun mal. Die meiste Zeit lacht oder weint er, und wenn nicht, kannst du dir ziemlich sicher sein, daß er gleich etwas Verrücktes anstellt. Aber daran gewöhnst du dich noch, Sparky. Er ist erst zweieinhalb, und von kleinen Jungen kann man nicht allzuviel erwarten. Eigentlich heißt er Terry, aber wir nennen ihn Tiger, weil er so ein Rauhbein ist. Ich heiße Alice. Alice Elizabeth Jones. Ich bin acht dreiviertel, und ich bin gerade in die vierte Klasse gekommen. Ich bin mit kleinen Löchern im Herzen geboren, und als ich klein war, noch kleiner als Tiger jetzt, bin ich ein paarmal fast gestorben. Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern, aber Mama meint, ich lebe noch, weil ich einen Engel in mir habe, und dieser Engel wird mich immer beschützen. Mama heißt Polly Jones. Früher hieß sie Polly Danforth, aber dann hat sie Daddy geheiratet und ihren Namen in Jones geändert. Mein Daddy heißt Richard Jones. Alle nennen ihn Dick, und die meisten Leute sagen, ich sehe eher aus wie er als wie meine Mama. Er ist Pilot. Er fliegt nach Kalifornien, Texas und New York, ach, überallhin. Einmal, bevor Tiger geboren wurde, sind Mama und ich mit ihm nach Chicago geflogen. Jetzt wohnen wir in diesem großen Haus. Wir sind erst vor ein paar Monaten eingezogen, du hast richtig Glück gehabt, daß du gerade jetzt aufgetaucht bist, Sparky. Wir haben ganz viel Platz, und es ist schon alles eingeräumt, und wenn Daddy sagt, daß wir dich behalten dürfen, dann wird es hier ganz toll.«
    Alice bemühte sich, alles zu tun, damit Mr. Bones sich wie zu Hause fühlte, aber im Endeffekt führte ihre weitschweifige Einführung in die Familie nur dazu, daß er in Panik geriet und es ihm den Magen umdrehte. Seine Zukunft lag in den Händen einer Person, die er noch nie gesehen hatte, und nach den verschiedenen Bemerkungen, die bisher über diese Person gefallen waren, schien es ziemlich unwahrscheinlich, daß die Entscheidung zu Mr. Bones’ Gunsten ausgehen würde. Die Macht seiner Ängste trieb den Hund wieder hinters Gebüsch, und zum zweitenmal innerhalb einer Stunde ließ ihn seine Verdauung im Stich. Er zitterte unkontrollierbar, während sein Darminhalt auf den Boden platschte, und flehte den Gott der Hunde an, sich seines armen kranken Körpers anzunehmen. Er hatte das Gelobte Land betreten, war in einer Welt grüner Rasenflächen, sanftmütiger Frauen und überreichlichen Futters gelandet, doch sollte es dazu kommen, daß er daraus verbannt wurde, bat er nur darum, daß seine Leiden nicht länger dauern würden, als er ertragen konnte.
    Als Dicks Volvo in die Einfahrt rollte, hatte Polly den Kindern schon Abendbrot gemacht - Hamburger mit Ofenkartoffeln und Erbsen, wovon einiges in Mr. Bones’ Maul gelandet war -, und alle vier waren wieder im Garten und gossen die Beete, während der Spätnachmittag in den frühen Abend überging und sich die ersten Tupfer Dunkelheit am Himmel zeigten. Mr. Bones hatte Polly zu Alice sagen hören, daß der Flug aus New Orleans um Viertel vor fünf auf dem Dulles Airport eintreffen solle, und wenn die Maschine keine Verspätung habe und der Verkehr nicht zu dicht sei, werde ihr Vater gegen sieben zu Hause ankommen. Und ziemlich genau um diese Zeit traf Dick Jones auch ein. Er war drei Tage fort gewesen, und als die Kinder seinen Wagen kommen hörten, rannten sie beide johlend aus dem Garten um die Hausecke. Polly machte keinerlei Anstalten, ihnen hinterherzulaufen. Sie goß weiter in aller Seelenruhe die Pflanzen und Blumen, und Mr. Bones blieb bei ihr und ließ sie nicht aus den Augen. Er wußte, daß nun jede Hoffnung zunichte war, aber wenn ihn überhaupt jemand vor dieser Katastrophe bewahren konnte, dann sie.
    Einige Augenblicke später kam der Hausherr mit Tiger auf dem Arm

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