Time to Die - Stirb noch einmal
sie kurz inne und sagte zu ihm: “Vielen Dank, dass du mich in die Kirche begleitest. Das bedeutet mir sehr viel.”
“Das dachte ich mir. Sonst hätte ich auch nicht zugestimmt.”
“Aber es ist dir nicht recht. Dir wäre es lieber, ich bliebe hier, nicht wahr?”
“Mir wäre es auch lieber, du würdest morgen nicht zur Arbeit gehen. Wenn es nach mir ginge, würde ich dich hier unter Verschluss halten.”
Ihr war, als führten die Schmetterlinge in ihrem Bauch einen Tanz auf. Sie zitterte am ganzen Körper. Natürlich hatte aus ihm der Bodyguard gesprochen, aber der besitzergreifende Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören gewesen.
“So könnte ich aber nicht leben”, sagte sie.
“Ich weiß.”
Und er drehte sich um und lief weg.
Deke war nicht mehr in einer Kirche gewesen, seit sein Großvater vor zwölf Jahren beerdigt worden war. Wenn er jemals irgendjemanden in seinem Leben wirklich geliebt hatte, war es wohl dieser schweigsame alte Mann gewesen. Jim Mason war Fabrikarbeiter gewesen. Er hatte sein Leben lang schwer gearbeitet und verstand sich genauso wenig darauf, mit seinem Enkel zu sprechen wie mit seiner Frau oder seinem einzigen Kind, Dekes Mutter. Aber Big Jim, so wurde er in seinem texanischen Heimatort genannt, hatte Deke aufgenommen, nachdem dessen Mutter gestorben war und sein Taugenichts von einem Vater das Weite gesucht hatte. Deke und sein Großvater hatten zusammen in ein- und demselben Haus gelebt, bis Deke zur Universität gegangen war. Niemals in all der Zeit hatte sein Großvater ihm gesagt, was er ihm bedeutete. Aber er hatte es ihm auf hundert verschiedene Arten gezeigt. Jeden Morgen bereitete er seinem Enkel das Frühstück zu, bevor er zur Schule ging. Er ermutigte ihn, Sport zu treiben, ermahnte ihn aber gleichzeitig, gute Noten zu schreiben. Als Deke sechzehn gewesen war, hatte er ihm geholfen, sein erstes Auto – einen schrottreifen alten Pick-up – auf Vordermann zu bringen. Und als Deke auf der Universität und später bei der U.S. Army gewesen war, hatte ihm sein Großvater einmal pro Woche geschrieben.
Die Kirche war bereits zur Hälfte gefüllt, als Deke und Lexie ankamen. In den folgenden fünfzehn Minuten füllte sie sich komplett, Deke schätzte, mit an die fünfhundert Personen. So groß die Gemeinde auch war: Lexie schien zwei Drittel der Menschen hier persönlich zu kennen. Sie war jemand, zu der sich andere Menschen unmittelbar hingezogen fühlten. Sie war nicht nur hübsch, sondern strahlte auch Wärme und Mitgefühl aus. Das hatte sie früher zu einer guten Reporterin gemacht und machte sie heute zu einer erfolgreichen Spendensammlerin.
Jedes Mal, wenn sie jemandem die Hand schüttelte oder ein anderes Gemeindemitglied umarmte, hätte Deke sie am liebsten weggezogen. Denn wenn er jemanden nicht kannte, misstraute er ihm. Lexie hingegen schien jedem erst einmal zu vertrauen. Wie nur hatte sich eine Frau, die einst im Feuergefecht verletzt worden war, eine solch positive Haltung dem Leben gegenüber bewahrt?
“Da drüben ist Farris.” Lexie bahnte sich ihren Weg durch die Trauben von Gläubigen, die sich noch ein wenig unterhielten, bevor die Messe begann.
Deke stöhnte innerlich auf, als er Richardson erblickte. Der Finanzchef stand mit einem dümmlichen Lächeln auf den Lippen auf der anderen Seite und winkte Lexie zu.
Auch Deke wurde immer wieder begrüßt. Man sagte "Hallo!”, "Willkommen!” oder "Schön, Sie zu sehen!” und zwang ihn dadurch, höflich zu bleiben. Dabei war ihm überhaupt nicht danach zumute. Er nickte freundlich in alle Richtungen und bemühte sich, niemanden anzurempeln, während er Lexie so dicht wie möglich auf den Fersen blieb.
Ein Ort wie dieser war für jeden Personenschützer ein Albtraum. Ganz besonders, wenn man zuvor keine Gelegenheit gehabt hatte, die Umgebung gründlich zu untersuchen. Zudem war seine Klientin hier von einer Horde fremder Menschen umgeben. Deke musste jeden Einzelnen hier als mögliche Bedrohung betrachten, auch wenn es eher unwahrscheinlich war, dass hier jemand Lexie etwas tun wollte. Immerhin war dies ein Ort des Gebets.
Wahrscheinlich hatte Deke einfach zu lange jenseits der Zivilisation gelebt.
Als Lexie zu Farris durchgekommen war, umarmte sie ihn und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
Er griff nach ihrer Hand. “Ich war nicht sicher, ob du heute kommen würdest. Ich freu mich, dich zu sehen.” Und ohne Deke auch nur zu beachten, fragte er: “Möchtest du dich zu
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