Time Travel Inc. - Rewind (Die Zeitreise Chroniken) (German Edition)
eine verbitterte Hure. Hätte ich es nicht erlebt, hätte ich es selbst nicht geglaubt.
Kapitel 4
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Mai 1921
Irgendwo zwischen Louisville und Tulsa
»Oh Gott, tut mir mein Hintern weh!«, ächzte Mary. Obwohl ich es nicht unbedingt als schicklich empfand, diese Mitteilung vor den 15 anderen Passagieren um uns herum auf diese Weise laut herauszuposaunen, konnte ich es ihr nachfühlen. Der ganze Tag war unglaublich anstrengend gewesen. Man wusste nicht wohin mit sich und seinem Hintern. Draußen herrschten bereits frühsommerliche Temperaturen und im Zug war es noch viel schlimmer. Wenigstens bekam man während der Fahrt einiges zu sehen. Die Landschaft dieser Region war ungemein vielfältig. Auf der Fahrt durch Missouri hatten wir durch unser Zugfenster, von zerklüfteten Ebenen bis hin zu fruchtbarem Ackerland mit kleinen, verspielten Flussläufen, alles gesehen. Nach wie vor bewunderte ich die enorme Vielfalt der Flora und Fauna dieses großen Landes.
Mary und ich hatten unser Möglichstes getan, um die deprimierenden Ereignisse in New York hinter uns zu lassen, und ich war stolz sagen zu können, dass ich seit unserer Abreise höchstens zehn Mal an John Quinn gedacht hatte. Inzwischen hatten wir unsere geplagten Körper aus dem Zug geschleift und reckten und streckten uns ausgiebig. Bis zum nächsten größeren Halt würden erneut Stunden vergehen und wir genossen den Luxus des aufrechten Stehens und des wackelfreien Untergrunds.
»Sag mal, wohin genau fahren wir eigentlich?«, fragte Mary relativ desinteressiert. Ich glaube, ihr war es völlig egal. Hauptsache, weit weg von New York und von Harry.
»Nach Tulsa«, erwiderte ich gähnend. »Ich muss dort ein paar Dinge erledigen. Das wird sicher eine Weile dauern.«
»Tulsa? Ein seltsamer Name für einen Ort. Klingt wie eine Eissorte oder so was.«
»Also ich glaube, ursprünglich hieß es anders. Tulsey … nein Tulsy. Das bedeutet "alte Stadt" auf Indianisch.« Ich erwähnte es beiläufig, aber tatsächlich hatte ich mich natürlich gründlich über Tulsa informiert. Uns würde eine brummende, lebendige Stadt erwarten. Durch die zahlreichen Ölfunde, die dort in den letzten zwei Jahrzehnten gemacht wurden, hatte sich Tulsa zu einer richtigen kleinen Metropole entwickelt. Das Geld floss in Strömen und das Stadtbild wurde geprägt durch eine Vielzahl von Häusern im zurzeit enorm beliebten Art-déco-Stil. Wir befanden uns also auf direktem Weg in die derzeitige Ölhauptstadt der Welt. Mein eigentliches Vorhaben, nämlich so viel wie möglich über einen gewissen Mr. Tyson in Erfahrung zu bringen, verschwieg ich. Die Offenbarung meiner Pläne würde nur zu weiteren, unangenehmen Fragen führen. Dass Mary nun bei mir war, konnte ich nicht ändern, aber ich versuchte, meine Absichten weiterhin aus unseren Gesprächen herauszuhalten. In Tulsa würde ich hoffentlich ein paar Hinweise finden. Der Professor und ich hatten die Aufzeichnungen wieder und wieder gelesen, untersucht und überprüft. In Tulsa musste sich ein weiterer Hinweis befinden.
»Oh!«, rief Mary erfreut, »glaubst du, es wird dort Indianer geben? Wie aufregend!« Freudig hüpfte sie von einem Bein auf das andere.
»Nun, ich denke schon, dass es dort Indianer gibt. Ob das ein Grund zur Freude ist, kann ich allerdings nicht sagen. Immerhin machen wir es den Indianern doch ziemlich schwer da unten. Das war einmal ihr Land und nun bestimmen wir, wo sie leben. Ich könnte mir vorstellen, dass die Indianer sich nicht freuen werden, noch zwei Bleichgesichter zu sehen.« Ich grinste sie an.
»Weißt du, ich glaube, es war gut, dass ich aus New York fort musste. Wir werden sicher eine tolle Zeit zusammen verbringen.«
Ich dachte daran, dass es sich leider auch um einen begrenzten Zeitraum handelte. Aber Mary würde schon klarkommen. Sie war etwas ganz Besonderes und hatte es auch vor mir geschafft, sich durchzuschlagen. Es war mir zwar nach wie vor schleierhaft, wie man gleichzeitig Suffragette und Hure sein konnte, aber allein, dass sie damit bisher so gut gefahren war, sprach für ihr Durchsetzungsvermögen. Ich wusste nicht viel über ihre Kindheit und Jugend. Sie hatte wohl noch Eltern, irgendwo bei Baltimore. Einmal hatte sie erwähnt, dass sie früh von zu Hause fortgegangen war, um ihr Glück zu machen. Ich wusste nicht, ob Mary ihr Leben in New York als glücklich empfunden hatte. Jedenfalls wirkte sie stets sehr entspannt und zufrieden. Ich hatte sie, vor der Sache mit Harry, noch
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