Time-Travel-Triologie 01 - Die Prophetin von Luxor
hinterher noch übel gewesen. Trotzdem, dies hier war D’vorah, die junge Frau, die Chloe bei ihrer Fehlgeburt beigestanden hatte. Die ihre Hand gehalten hatte, als Chloe plötzlich in Tränen ausgebrochen war. Es war nicht irgendein kranker, vergrindeter, verletzter Fremder. Es war eine Freundin.
Tränen strömten ihr über die Wangen. Ganz behutsam schloß Chloe ihre Freundin in die Arme und erspürte D’vorahs feine Knochen unter der pergamenttrockenen Haut. Das Mädchen schluchzte in tiefen Seufzern, die dazu führten, daß Blasen schwarzen Schleims auf ihre Lippen traten. Chloe war zwischen Mitleid und Entsetzen hin und her gerissen.
»Was ist mit deiner Familie?«
»Sie sind tot, Herrin. Alle sind tot.«
Sie sanken auf den heuschreckenbedeckten Boden, während um sie herum aus dem tiefen Dröhnen der Zerstörung heraus Trauerklagen aufstiegen. Chloe hielt das Mädchen in den Armen und hörte ihr einfach zu. Um die Felder ihres Herren von den Heuschrecken zu befreien, denn er war ein guter Mann, hatten die Apiru Feuer entzündet und versucht, die Insekten durch eine Rauchwand abzuhalten. Zwar war ihr Vorarbeiter verschwunden, trotzdem war das bei einem Heuschreckensturm eine oft gewählte Schutzmaßnahme.
Alles war gutgegangen, bis der Wind plötzlich gedreht hatte. Innerhalb weniger Sekunden war das Lehmziegeldorf mit seinen Dächern aus getrocknetem Schilf in Flammen aufgegangen.
»Ich habe unten geschlafen«, sagte D’vorah. »Mit den Kindern – Ari, der fünf Jahre alt ist, und Lina, die acht ist.« Sie preßte sich eine blasenbedeckte Hand auf den Mund. »Die beiden sind nicht einmal aufgewacht!« Sie hustete wieder, und Chloe blickte mit verzogenem Gesicht auf den schwarzen Schleim, der sich mit dunklem Blut vermischte.
»Ich bin von einem lauten Knall aufgewacht.«
Sie verschränkte die Arme über den Knien und sah auf die Heuschrecken, die über ihre verbrannten Hände krabbelten. »Ich habe die Kinder zum Fenster getragen, aber ich konnte sie nicht nach draußen heben! Das Fenster war zu hoch, und ich war zu schwach.«
D’vorah erzählte, während sie dort gestanden und versucht habe, ihre am Rauch erstickten Geschwister durch die Fensteröffnung zu zwängen, sei das Dach eingestürzt, und geschmolzene Ziegel seien zusammen mit den verkohlten Leichen ihrer Eltern und der älteren Geschwister auf sie herabgeregnet.
Meneptah hatte von draußen den Fenstersims eingeschlagen und D’vorah hinausgezerrt, aber genau da war ein Krug explodiert, der ihr Haar in Brand gesetzt und ihr das Gesicht versengt hatte.
Chloe wiegte das verletzte Kind in den Armen, streichelte ihr über die Schultern und zupfte die Heuschrecken von ihren Brandwunden.
»Herrin RaEm?«
Chloe schlug die Augen auf und erblickte eine schwarze Gestalt, die sich im Dämmerlicht über sie beugte. Sie und D’vorah lagen Seite an Seite, die Arme umeinander gelegt. Chloe drehte sich zur Seite, um das Mädchen abzuschirmen.
»Was willst du?« fuhr sie die Gestalt verschlafen und verängstigt zugleich an.
Hastig trat der Mann zurück und kreuzte den Arm vor der Brust. »Ich bin es, Meneptah, He-«
»Meneptah! Es tut mir leid! Bitte, ich habe geschlafen. Komm, wirf einen Blick auf D’vorah.«
Der Israelit beugte sich über das schlafende Mädchen. Seine Hände waren sauber, aber sie waren auch das einzige an ihm, das nicht rußgeschwärzt war. Rührend zärtlich und behutsam berührte er D’vorah, und als Chloe sein Gesicht und den Ausdruck seiner Augen sah, bezweifelte sie, daß D’vorah lange ohne Familie bleiben würde. Sie zog sich zurück und besah sich zum ersten Mal das ganze Ausmaß der Zerstörung.
Es war ein viel größeres Dorf gewesen als jenes, in dem sie geheiratet hatten. Vierzig bis fünfzig zweistöckige Häuser hatten sich um enge, ungepflasterte Wege gedrängt, die alle zu dem Brunnen in der Dorfmitte und zum Hauptplatz führten.
Außer dem Verschlag am Dorfrand, wo Cheftu seine Krankenstation eingerichtet hatte, stand kein einziges Gebäude mehr. Nur verkohlte Quadrate und Rechtecke zeugten noch von den Häusern, die an den Straßen aufgereiht gestanden hatten. Wie viele Menschen hatten hier gewohnt? Wie viele hatten überlebt?
Die Sonne brannte bereits in Chloes Nacken, und sie konnte nicht einmal entfernt nachvollziehen, welche Qualen die Verbrannten leiden mußten. Diese Menschen brauchten vor allem ein Dach über dem Kopf, Wasser und etwas zu essen.
Sie brauchte Ehuru. Sie brauchte ein paar
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