Time-Travel-Triologie 01 - Die Prophetin von Luxor
gleich den Schädel.«
Cheftu nahm ihre Hand und massierte mit festen, kreisenden Bewegungen ihre Handflächen. Die Spannung in ihrem Gesicht verringerte sich, und wenig später lag sie ganz ruhig da.
»Chloe!« fuhr er sie scharf an, und sie antwortete mit einem Murmeln.
»Chloe!«
Er ohrfeigte sie, was sie unverzüglich wieder aufweckte.
»Was soll das?« fuhr sie ihn an und hielt sich die Wange, auf der sich der rote Abdruck seiner Hand in der sonnenverbrannten Haut abzeichnete.
Er zog sie an seine Brust. »Tut mir leid, daß ich dich geschlagen habe«, sagte er, »aber du darfst nicht schlafen. Du bist verletzt und mußt wach bleiben. Ich … ich habe gesehen, daß du gleich einschlafen würdest, und ich«, seine Stimme brach, »ich bin wohl in Panik geraten. Ich hatte Angst, daß du nicht mehr aufwachst.« Er wußte, daß sein Griff ihr Schmerzen bereitete, so drückte er auf die blauen Flecken an ihrem Rücken und ihrem Brustkorb, doch die Angst hielt ihn fest in ihren Klauen. Bittere Magensäure stieg ihm in die Kehle. So blieben sie sitzen, ungemütlich aneinandergepreßt, doch nicht gewillt, sich zu bewegen oder ihre Umarmung zu lockern. Cheftu zog sie näher an seine Brust und strich über ihr Haar, während er die vergangene Nacht ansprach.
»Wie ist es dir ergangen?«
Chloe verzog das Gesicht. »Na ja, du bist losgerannt, um Moshe das mit Pharao zu sagen …« Sie richtete sich auf. Ihr Tonfall kippte. »Wo sind die Toten?«
Er fuhr mit dem Finger an ihrem Kinn entlang bis in ihr verfilztes schwarzes Haar und vergrub seine Hand darin.
»Verschwunden. Die Wellen haben sie verschlungen, genau wie es in der Bibel steht.«
»Aber die Toten! Es waren doch Tausende …« Die Sonne ergoß sich in seine Augen, so daß sie wie Honig aussahen, wie klares, durchsichtiges Gold. »Verschwunden?« wiederholte sie.
»›Und sie sahen die Ägypter tot am Ufer des Meeres liegen.‹ Offenbar liegen sie am anderen Ufer.«
»Das ist doch unmöglich. Derartige Strömungen gibt es nicht«, wehrte Chloe ab.
Sie setzte sich auf und blickte auf das blaue Wasser hinaus, das friedlich gegen das Ufer leckte. Die Anhöhe über dem Meer war von tausenden Füßen fast völlig niedergetreten: von Menschen Pferden, Gänsen, Schafen und schließlich von Pharao mit ihren Soldaten. Eine Möwe schoß mit scharfem Schrei über das Wasser.
Man konnte bis zum gegenüberliegenden Ufer blicken, und in der morgendlichen Stille hörten sie ein leises Klingeln wie von einem Sistrum oder Tamburin. Im Geist ordnete sie die Stämme zu einem biblischen Gemälde wie von Doré oder Alma-Tadema. Gelegentlich wehte ein Lachen über die Wellen heran. Abgesehen davon waren sie in der Zeit erstarrt: nicht mehr Meneptah, D’vorah und Elishava – sondern nur Die Kinder Israels am Gestade des Roten Meeres. Flach, fast wie eine Karikatur, ohne die Lebendigkeit, Leidenschaft und den Reiz des echten Lebens.
Beinahe liebevoll wusch das Wasser über den Strand und glättete die Felsen, die jetzt hervorstanden und in Chloes Zeit nur noch Sand sein würden.
Wo waren die Toten? Die Rüstungen? Das Gold von den Kragen, Zügeln und Schwertern? Hatte Gott auch diesen Beweis an sich genommen? Oder lag alles am anderen Ufer, damit man es nicht wieder einsammeln und in Ehren halten konnte? Als letzte Ohrfeige für die Ägypter?
»Eine Perle für deine Gedanken«, sagte Cheftu.
»Ich habe es gesehen.«
»Was?«
»Wie sich das Meer geteilt hat. Es war, als wären alle außer mir wie verzaubert. Zu Tausenden standen die Menschen wie Schlafwandler um mich herum. Ich konnte sehen, wie das Wasser brodelnd und kochend zwei Mauern bildete. Dann hat sich der Wind gedreht und genau zwischen den beiden Mauern hindurch geweht, quer über das ganze Meer. Ich habe nicht die geringste Brise gespürt, aber ich habe gesehen, wie der Sand trocknete und die letzten Krebse in Richtung Arabien geweht wurden. Es war wie ein Luftschlauch dicht über dem Boden. Es hat die ganze Nacht gedauert; die Sterne kamen heraus, der Mond hat geschienen, und ständig hat der Wind geweht.« Sie drehte sich zu ihm um. »Er war so laut, daß ich nach wie vor kaum hören kann.« Dann sah sie wieder auf die seichten Wellen.
»Kurz vor der Morgendämmerung sind die Menschen aufgewacht. Praktischerweise sind die am Wasser als erste aufgewacht. Sie konnten es nicht fassen!« Lächelnd erinnerte sie sich an die Familien, die ihre Sachen aufsammelten und zum Wasser hinuntergingen, um dann den
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