Timeless: Roman (German Edition)
Erbin, sie war einfach … Mom. Meiner Meinung nach passt sie überhaupt nicht hierher, aber andererseits sieht sie auf diesem Porträt in meinem Zimmer so glücklich aus.«
»Sie war hier sehr glücklich«, sagte Dorothy angespannt. »Wenn da nicht …« Ein Blick von Walter ließ sie verstummen. Doch dann schien sie sich wieder gefangen zu haben. »Wie dem auch sei, Liebes, du siehst viel zu dünn aus. Versuch, etwas zu essen.«
Michele runzelte die Stirn, erstaunt, dass Dorothy plötzlich einen ganz anderen Ton anschlug. Nach einigen Augenblicken des Schweigens, in denen ihre Großeltern aßen und Michele zu Boden schaute, räusperte sich Walter. »Dorothy, treffen wir die Goulds morgen vor oder nach der Carnegie Hall?«
Während die Unterhaltung von Marion wegführte und sich einem Konzert zuwandte, das ihre Großeltern am nächsten Abend besuchen wollten, spürte Michele Wut in sich aufsteigen. Wer waren diese Menschen mit ihrem entsetzlichen Snobismus und ihrer Unfähigkeit, eine normale Unterhaltung mit ihr zu führen? Wütend stocherte sie in ihrem Salat herum.
Sie wusste, was ihre Großmutter hatte sagen wollen – dass ihre Mutter auch weiterhin glücklich gewesen wäre, wenn da nicht Micheles Vater gewesen wäre. Da sich ihre Großeltern wünschten, ihre Mutter hätte Henry Irving nie kennengelernt, wünschten sie sich sicher auch, dass Michele nie geboren worden wäre, schoss es ihr durch den Kopf.
Plötzlich hörte sie Walter ihren Namen sagen. »Michele, du isst ja gar nichts. Was ist los?«
Michele spürte, wie etwas bei ihr aushakte. Sie ließ die Gabel fallen; klappernd landete sie auf ihrem Teller.
»Was los ist? Wie könnt ihr erwarten, dass ich esse? Meine Mutter ist tot. Aber ihr interessiert euch nicht für uns beide, oder? Ihr habt meinen Dad weggeschickt, obwohl ihr wusstet, dass es meiner Mom das Herz brechen würde. Ihr seid nicht mal zu Moms Beerdigung gekommen! Und da ihr meinen Dad so sehr hasst, kann ich mir wirklich nicht vorstellen, dass ihr überhaupt wollt, dass ich bei euch lebe.« Michele unterbrach ihre Tirade, um Luft zu holen, und stutzte, als sie den Gesichtsausdruck ihrer Großeltern bemerkte. Beide sahen aus, als habe man sie geschlagen.
»Da irrst du dich vollkommen«, sagte Walter mit ernster Stimme. »Ja, wir haben die Situation falsch eingeschätzt, als wir Henry Geld dafür geboten haben, wegzugehen – aber du kannst dir gar nicht unseren Schmerz und unsere Panik vorstellen, als wir herausfanden, dass unser einziges Kind von zu Hause weggelaufen war. Außerdem hätten wir die Sache gar nicht durchgehalten und haben es auch nicht getan. Bis heute wissen wir nicht, was mit Henry passiert ist. Aber eines muss ich dir sagen: Deine Großmutter und ich wurden als die Bösen hingestellt, aber es gibt Dinge, die du über Henry Irving nicht weißt, die niemand …«
»Walter!«, unterbrach Dorothy ihn scharf.
Michele starrte die beiden an. Walters Gesicht war rot angelaufen, während Dorothy … ängstlich aussah. Was in aller Welt war hier los?
»Was willst du damit sagen?« Michele spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. »Was weißt du über meinen Dad?«
Walter räusperte sich. »Ich habe nur gemeint, dass er nicht der Mensch war, für den Marion ihn gehalten hat. Wie wir erwartet hatten, ist er die Beziehung wahrscheinlich nur wegen der Windsor-Millionen eingegangen und hat sich aus dem Staub gemacht, als ihm klar wurde, dass er davon nichts sehen würde.«
Bei seinen Worten zuckte Michele zusammen. Dorothy öffnete den Mund, als wollte sie Walter zurückhalten, doch er fuhr mit umwölkter Stirn fort: »Wir haben alles versucht, um die Beziehung mit Marion wieder aufzunehmen und an deinem Leben teilzuhaben. Aber sie hat unsere Anrufe nicht entgegengenommen, und all die Briefe und Karten und Schecks, die wir euch beiden geschickt haben, kamen ungeöffnet zurück. Sie hat uns schon vor langer Zeit das Herz gebrochen. Und natürlich wären wir zur Beerdigung gekommen, wenn man uns rechtzeitig informiert hätte. Wir haben von dem Unfall und der Beerdigung erst erfahren, als die Nachricht eine Woche später in der Times erschien.« Er griff nach Dorothys Hand. Ihr Gesicht war so aschfahl wie seins.
Michele fehlten die Worte. War das möglich? Sie konnte sich kaum vorstellen, dass sich ihre Mutter in Bezug auf ihre Eltern so geirrt haben sollte. Michele wusste nicht, was sie denken oder glauben sollte.
»Warum hat Mom euch dann zu meinen Vormunden
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