Timeless: Roman (German Edition)
gleich runter.« Sie wandte sich wieder ihrem Handy zu. »Mandy, ich rufe dich nachher zurück. Offensichtlich habe ich Besuch.«
»Okay. Versuch durchzuhalten«, sagte Amanda. »Ich liebe dich.«
»Ich dich auch.« Widerstrebend beendete Michele das Gespräch und warf einen Blick in den Spiegel. Seit Marions Tod hatte sie kaum geschlafen, was man ihr inzwischen auch ansah. Beim Anblick ihres ungekämmten Haars und der blutunterlaufenen Augen überlegte sie kurz, ob sie sich nicht für ihre Besucherin frisch machen sollte, konnte jedoch nicht die Energie aufbringen. Es schien lange her zu sein, dass ihr derlei Dinge wichtig gewesen waren.
Unten im Salon fand sie Dorothy in ihrem hoheitsvollen Sessel vor. Ihr gegenüber auf dem Sofa saß ein zier liches Mädchen mit langem rotblonden Haar und grünen Augen. Das Mädchen trug eine zugeknöpfte schwarze Smokingweste und hautenge Jeans, die sie in schwarze Plateaustiefel gesteckt hatte. Eine ältere blonde Frau stand hinter Dorothys Sessel, einen Stift hinter dem Ohr, und blätterte in einem Notizbuch.
»Hi«, begrüßte Michele sie.
»Michele.« Dorothy lächelte. »Dies sind meine Sekretärin, Inez Hart, und ihre Tochter Caissie.«
Inez kam rasch auf sie zu und streckte ihr die Hand entgegen. »Freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Miss Windsor. Und im Namen meiner Familie aufrichtige Anteilnahme an Ihrem Verlust.«
»Danke. Bitte nennen Sie mich Michele.«
Cassie lächelte ihr zu. »Hey!«
»Hi.« Michele setzte sich neben sie aufs Sofa.
»Ich habe Inez gebeten, Caissie heute mit zur Arbeit zu bringen, da sie auch in die elfte Klasse der Berkshire geht«, fuhr Dorothy fort. »Ich dachte, es wäre schön für dich, eine Freundin zu haben, wenn du am Montag mit der Schule anfängst.«
Bei diesen Worten warf Inez ihrer Tochter einen strengen Blick zu, als wollte sie sagen: Enttäusch mich nicht! Verlegen schaute Caissie zu Boden.
»Danke. Das wäre großartig«, sagte Michele, um ein wenig Enthusiasmus vorzutäuschen.
»Warum zeigst du Caissie nicht dein Zimmer?«, schlug Dorothy vor.
»Okay«, stimmte Michele zu.
Caissie folgte ihr aus dem Salon, schweigend stiegen sie die Treppe hoch. Warum ist das Ganze nur so unangenehm? , fragte sich Michele. Oben in der dritten Etage führte Michele das Mädchen in ihr Wohnzimmer.
Caissie sah sich um. »Du hast kein Bett?«, fragte sie überrascht.
»Oh, das steht in meinem anderen Zimmer«, erwiderte Michele. Caissie runzelte die Stirn, und Michele, der bewusst wurde, wie lächerlich protzig all das wirken musste, wurde rot.
»Setz dich doch«, bot Michele an. Die beiden Mädchen nahmen einander gegenüber in Sesseln Platz. »In welchem Teil der Stadt wohnst du?«
»Ich wohne mit meinem Vater direkt nebenan, in einer der Wohnungen des ehemaligen Walker Mansion. Näher werde ich dem Traum, in einem Haus wie diesem zu leben, wahrscheinlich nie kommen«, befand Caissie lachend.
»Das Walker Mansion? Das der Walkers, die mit den Windsors verfeindet waren?«, fragte Michele auf der Suche nach einem Gesprächsthema. »Schon seltsam, dass sie Nachbarn waren.«
»Ja«, gluckste Caissie.
»Und wie ist unsere Schule so?«
»Ehrliche Antwort? Sie ist irgendwie zum Kotzen. Praktisch jeder dort stammt aus wohlhabendem Elternhaus.« Caissie verzog das Gesicht. »Mein bester Freund Aaron und ich haben beide ein Stipendium bekommen, und wir sind sicher im Vorteil, wenn wir uns für Colleges bewerben – doch eine staatliche Schule wäre aus sozialer Sicht viel besser gewesen.«
»Na super«, sagte Michele trocken. »Jetzt bin ich noch begeisterter, dort hinzugehen.«
Cassie, die ihre Unverblümtheit offensichtlich bereute, biss sich auf die Unterlippe.
Als Michele das fremde Mädchen ansah, das in ihrem Zimmer saß, hatte sie plötzlich das Gefühl, als würde sie die Szene von außen betrachten. Alles kam ihr vollkommen unwirklich vor: Das Begräbnis, die Trauer und nun dieses neue Leben in New York – all dies schienen Szenen aus einem Film zu sein, in dem sie mitspielte. Das konnte einfach nicht ihr echtes Leben sein.
Michele stellte sich vor, dass sich ihr Körper, ihr wahres Selbst, weit entfernt von diesem Schloss befände, zu Hause in Kalifornien bei ihrer Mutter und ihren besten Freundinnen, und dass das Leben wieder ganz normal wäre. Es hätte keinen Unfall gegeben, und Micheles größ tes Problem wäre noch immer die Trennung von Jason – die eine Ewigkeit zurückzuliegen schien. Michele malte sich aus, wie
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