Timeless: Roman (German Edition)
bestimmt?«, verlangte sie zu wissen. »Das ergibt keinen Sinn.«
Dorothy lächelte traurig. »Genau diese Frage haben wir uns auch gestellt. Es ist für uns der einzige Silberstreif seit Jahren. Es zeigt, dass wir Marions Ansicht nach irgendetwas richtig gemacht haben müssen, stimmt’s?«
»Ich … ich denke schon«, sagte Michele verlegen.
»Wir wissen, wie schmerzlich dieser Schritt für dich sein muss«, versetzte Walter sanfter. »Aber wir hoffen, dass du hier in New York glücklich wirst. Was hältst du davon, wenn wir diese Unterhaltung jetzt vergessen und von vorn anfangen?«
Michele nickte voller Unbehagen. Doch als sie diese Fremden betrachtete, die ihr in diesem obszön großen Raum gegenübersaßen, überkam sie erneut schmerzliche Sehnsucht nach ihrem alten Zuhause, nach ihrer Mutter.
»Ich fühle mich nicht gut«, sagte sie plötzlich. »Würdet ihr mich bitte entschuldigen?«
Nach einer Pause nickte Dorothy schweigend.
»Danke für das Abendessen«, sagte Michele noch schnell, bevor sie aus dem Raum eilte.
In der ersten Nacht in ihrem neuen Schlafzimmer schlief Michele unruhig. In ihrem Kopf wimmelte es von Schwarz- Weiß-Bildern der ehemaligen Bewohner von Windsor Mansion. Doch dann erhellte ein Lächeln ihr schlafendes Gesicht, während sie sich einem neuen Traum hingab.
Es war das überwältigendste Gefühl, das sie je erlebt hatte. Sie fühlte sich so glücklich, dass sie hätte platzen können, verspürte aber gleichzeitig in ihrem Innern einen unstillbaren Hunger. In einer dunklen Nacht hatte sie sich am Fuß einer Ulme in seine Arme geschmiegt. Vor ihnen erstreckten sich Meilen mondbeschienenen Grases. Er spielte mit ihrem Haar, während sie miteinander lachten und sich amüsierten.
»Das ist zu schön, um wahr zu sein«, flüsterte Michele, während sie in seine saphirblauen Augen schaute. »Und ich will nirgendwo anders sein als hier mit dir.«
Plötzlich wachte Michele auf. Heftig atmend versuchte sie zu begreifen, wo sie war – fast erwartete sie, dass der attraktive Fremde noch an ihrer Seite sein würde. Doch dann machte sie im Dunkeln die großen Schlafzimmermöbel aus und begriff, dass sie nur geträumt hatte. Dass dieses Glücksgefühl nicht echt gewesen war. Dass nichts von alledem echt gewesen war.
Warum habe ich etwas Neues von ihm geträumt? , fragte sie sich. Sie hatte sich so sehr an diesen Anblick von ihm in einem Spiegel gewöhnt, dass es geradezu unfassbar war, ihn als reale Person zu erleben. Aber er ist nicht real , erinnerte sie sich selbst. Nur ein Produkt meiner überspannten Fantasie.
Am nächsten Nachmittag brachte Nolan, das Faktotum der Windsors, die Kartons mit Micheles Habseligkeiten nach oben. Sie waren gerade aus Kalifornien angekommen. Michele verbrachte den größten Teil des Tages mit Auspacken und dem Versuch, ihre Sachen so unterzu bringen, dass dieses luxuriöse neue Schlafzimmer ein bisschen nach ihr aussah.
Nachdem sie ihre Klamotten eingeräumt hatte, stieß sie auf einen Karton, auf dem der Name ihrer Mutter stand. Michele zögerte.
Kurz vor ihrer Abreise nach New York hatte Miss Richards ihr den Karton gebracht und erklärt, dass er Schmuck und Andenken enthalte, die Marion in ihrem Banksafe aufbewahrt hatte. Michele hatte den Karton noch nicht geöffnet – sie hatte Angst davor. Doch nachdem sie ihn eine Weile lang vorsichtig beäugt hatte, holte sie tief Luft und hob den Deckel an.
Innen fand sie drei kleine Schmuckkästen. Die ersten beiden trugen die Logos von Van Cleef & Arpels beziehungsweise Tiffany & Co.; der dritte war nicht gekennzeichnet. Überrascht starrte Michele die Kästen an. Ihre Mutter hatte ihr nie von diesem Schmuck erzählt. Es musste sich um Windsor-Erbstücke handeln, denn Marion hatte es sich nie leisten können, bei Juwelieren wie Tiffany’s einzukaufen.
Als Erstes öffnete Michele das Kästchen mit dem Van-Cleef-&-Arpels-Logo. Beim Anblick der Schmetterlingskette, die sie von Marions Porträt her kannte, füllten sich ihre Augen mit Tränen. Sie drückte die Kette fest an sich, als könnte sie dadurch Marions Gegenwart spüren.
Als Nächstes widmete sie sich dem Tiffany-Kästchen, in dem sie eine prachtvolle, mit Diamanten versehene Halskette aus Weißgold fand. »Wow«, murmelte Michele. So edlen Schmuck hatte sie noch nie aus der Nähe gesehen.
Schließlich öffnete Michele das nicht gekennzeichnete Kästchen, und bei diesem Anblick blieb ihr fast das Herz stehen.
Eingebettet in das Kästchen war ein
Weitere Kostenlose Bücher