Timeless: Roman (German Edition)
entdeckte Bedauern in seinen Augen.
Ich bin zurück .
Erstaunt blickte sich Michele um. Sie stand im Vorgarten, direkt hinter dem Tor, wo sie sich von Philip getrennt hatte. Es war eine sternenlose, kühle Nacht. Aus der Stille, die sie umgab, schloss sie, dass es genauso spät war wie 1910. Instinktiv wandte sie sich dem Walker Mansion zu. Als sie stattdessen den modernen Wohnkomplex sah, tat ihr das Herz weh.
Jetzt ist er weg , überlegte sie. Er existiert nicht mehr. Aber wie war das möglich, wo ihr Gesicht doch noch prickelte von seiner Berührung und ihr noch immer ganz übel war von seiner plötzlichen Zurückweisung?
Die Vordertüren wurden aufgerissen, und Annaleigh eilte ins Freie. Ihre gewöhnlich untadelige Frisur war zerzaust, und ihre Augen verrieten Panik. »Da bist du ja endlich!«, rief sie. »Wo bist du nur gewesen? Wir haben uns alle schreckliche Sorgen gemacht! Komm rein!«
Nervös folgte Michele ihr ins Haus. »Ich … tut mir leid«, stammelte sie und zermarterte sich den Kopf nach einer guten Erklärung … einer, die nichts mit Zeitreisen zu tun hatte. »Ich habe in meinem Zimmer eine Nachricht hinterlassen. Ich war bei einer … Arbeitsgruppe, und danach haben wir alle noch rumgehangen. Ich hab wohl jegliches Zeitgefühl verloren, hatte keine Ahnung, wie spät es ist.«
»Nun, du solltest dich darauf vorbereiten, all das deinen Großeltern zu erklären«, bemerkte Annaleigh grimmig. »Sie haben die ganze Nacht auf dich gewartet und mir gesagt, ich solle ihnen sofort Bescheid geben, wenn du wieder da bist.«
»Auch das noch«, murmelte Michele. Sie verspürte nicht die geringste Lust, Walter und Dorothy Rede und Antwort zu stehen, schon gar nicht nach der letzten unangenehmen Begegnung.
»Ich werde sie jetzt benachrichtigen. Du bleibst hier«, befahl ihr Annaleigh.
Michele sank auf eines der Sofas in der Grand Hall. Was sollte sie ihren Großeltern bloß sagen? Sie erinnerte sich an Walters wütendes Gesicht neulich abends und erschauderte. Sie lehnte sich zurück, und als sie müde die Augen schloss, sah sie Philips intensiven Blick vor sich …
»Michele.«
Die zornige Stimme ihres Großvaters ließ sie zusammenzucken. Widerstrebend öffnete sie die Augen. Walter und Dorothy sahen ähnlich aus wie an jenem besagten Abend. Beide trugen ihre langen Morgenmäntel aus Kaschmir, ihr Haar war ungekämmt, und ohne Make-up und die anderen Tricks, die sie tagsüber anwandten, sa hen sie erheblich älter aus. Als Michele Dorothys rot um ränderte, aufgequollene Augen sah, verspürte sie einen Anflug von Schuldgefühlen.
»Was kannst du zu deiner Rechtfertigung vorbringen?«, wollte Walter wissen. »Wo warst du bitte bis halb fünf morgens?«
»Ich … es tut mir ja so leid«, antwortete Michele hastig und verhaspelte sich. »Ich hatte vergessen, wie spät es war. Ich wollte euch nicht beunruhigen.«
»Wo bist du gewesen?«, fragte Walter wieder. »Mit wem warst du unterwegs?«
Bei diesen Worten zuckte Dorothy zusammen. Sie sah aus, als fürchtete sie das Schlimmste. Als Michele die Angst im Blick ihrer Großeltern entdeckte, beschlich sie das Gefühl, dass ihre Abwesenheit etwas in ihnen aufgewühlt hatte – dass ihre Angst tiefere Gründe hatte als nur die Sorge um eine widerspenstige Enkelin, die nachts zu lange weggeblieben war.
»Ich war mit … Caissie Hart und ihren Freunden zusammen«, stieß sie hervor. Die Lüge ging ihr glatter über die Lippen, als sie erwartet hatte.
»Caissie?«, bemerkte Dorothy stirnrunzelnd. »Das ist unmöglich. Inez war gestern Nachmittag hier, und sie hätte es mir gesagt.«
»Aber Caissie lebt doch bei ihrem Vater, und vermut lich hat sie es ihrer Mutter gegenüber nicht erwähnt. Wir waren … bei ihrem Freund Aaron«, improvisierte Michele. »Wir hatten eine Arbeitsgruppe, und danach sind ein paar von uns zu Aaron gegangen, um Pizza zu essen und uns einen Film anzusehen. Es war so spät, dass ich über dem Film eingeschlafen bin. Tut mir echt leid.«
Ihre Großeltern musterten sie, als ob sie nicht wüssten, ob sie ihr diese Geschichte abnehmen sollten – doch es war eindeutig, dass sie ihr glauben wollten.
»Nun gut«, bemerkte Walter ruhig. »Künftig beachtest du folgende Hausordnung: Während der Woche ist deine Sperrstunde 22.30 Uhr und an Wochenenden Mitternacht. Wenn du vorhast, die Nacht irgendwo anders zu verbringen, kommen nur Mädchen dafür infrage, und du musst uns das wissen lassen. Wenn du eine dieser Regeln brichst, erhältst
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