Timeless: Roman (German Edition)
du Hausarrest. Hast du verstanden?«
Michele protestierte. »Aber … ich musste noch nie in meinem Leben eine Sperrstunde beachten, und mir wurde auch noch nie Hausarrest angedroht. Mom hat mir immer vertraut.«
»Als deine Mutter dich bekam, war sie noch ein Kind«, sagte Dorothy mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Sie wusste nicht, was das Beste …«
Michele sprang hoch. »Sprich nie wieder so über meine Mom«, zischte sie. »Sie war zehnmal mütterlicher als du.«
Dorothy zuckte zusammen, als habe man sie geschlagen.
»Das reicht jetzt«, sagte Walter kurz angebunden. »Das sind die Regeln. Ende der Diskussion.«
Wortlos machte Michele auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum. Diese Auseinandersetzungen mit ihren Großeltern würden bestimmt dazu beitragen, dass sie die Freiheit, die sie im Jahr 1910 genoss, schätzen lernte.
Als Michele am nächsten Morgen in ihre erste Unterrichtsstunde – amerikanische Geschichte – ging, sah sie die Welt wie durch einen Dunstschleier. Die Fahrt zur Schule war ihr vollkommen surreal erschienen, die modernen Autos und Wolkenkratzer schienen fehl am Platz. Sie ertappte sich dabei, wie sie sich nach Hufgetrappel sehnte, dem Rumpeln der Hochbahn auf den Gleisen und vor allem nach Philips angenehmer Stimme. Immer wieder versuchte sie, sich auf den Unterricht zu konzentrieren, doch in Gedanken war sie ganz woanders.
Als die Schulglocke läutete, kreuzten sich Caissies und ihre Blicke, und ihr fiel ein, dass sie Caissie bitten musste, ihr ein Alibi zu geben. Nervös ging Michele rüber zu Caissies Pult und zermarterte sich den Kopf, wie sie es ihr erklären sollte.
»Hey«, begrüßte sie Caissie mit einem Lächeln.
»Hi.« Caissie erwiderte das Lächeln, wirkte aber etwas überrascht.
»Hör zu, ich muss dich um einen großen Gefallen bitten … und es ist ein bisschen verrückt«, begann Michele unbeholfen.
Caissie runzelte die Stirn. »Hm, okay, schieß los.«
»Ich … ich war bis vier Uhr morgens unterwegs, und meine Großeltern sind ausgeflippt. Ich konnte ihnen nicht sagen, wo ich wirklich war. Sie haben mich festgenagelt, und da fiel mir nichts anderes ein, als ihnen zu erzählen, dass ich mit dir bei deinem Freund Aaron gewesen bin. Ich weiß nicht, warum ich das gesagt habe, ist mir echt peinlich«, gab Michele zu. »Es tut mir leid, dass ich dich fragen muss, aber wärst du so nett und würdest diese Geschichte gegenüber deiner Mom bestätigen? Denn meine Großmutter wird sie ganz bestimmt danach fragen.«
Caissie sah sie befremdet an, zuckte dann aber die Achseln. »Okay, warum nicht. Warum kannst du ihnen nicht sagen, wo du warst? Wo hast du denn gesteckt?«
Michele kaute an ihrer Unterlippe. »Ich kann es wirklich nicht sagen.«
»Ist schon okay«, erwiderte Caissie steif.
»Ich würde gern«, versicherte ihr Michele hastig. »Es ist nur …«
»Schon verstanden«, unterbrach Caissie sie. »Ich tu dir den Gefallen.«
»Danke«, erwiderte Michele.
Caissie schwang sich den Rucksack über die Schulter. »Wir sehen uns.«
»Bis bald.« Unbehaglich blickte Michele ihr nach. Offenbar hatte sie Caissie gekränkt, indem sie sie gebeten hatte, für sie zu lügen, ihr aber die Wahrheit verschwiegen hatte. Doch wem konnte sie überhaupt von der vorigen Nacht erzählen? Ich hätte mir einfach eine Story ausdenken sollen , überlegte Michele voller Bedauern.
Auf dem Weg zu ihrer nächsten Unterrichtsstunde überlegte sie, wie es wäre, wenn sie jemanden hätte, dem sie von dieser unglaublichen Wende der Ereignisse erzählen könnte. Irgendwie wäre es eine Erleichterung. Aber es gab niemanden. Amanda und Kristen würden ihr nie und nimmer glauben. Es gab nur einen Menschen, der sie ernst nehmen würde – und diese Person lebte nicht mehr.
Nach der Schule traf Michele genau in dem Moment in Windsor Mansion ein, als ihre Großeltern gerade weggehen wollten.
»Hallo, Michele«, begrüßte Dorothy sie, als sie sich in der Grand Hall begegneten. Walter bedachte sie mit einem höflichen Nicken, doch seine Miene blieb steinern.
»Hi«, grüßte Michele zurück. Sie sah ihnen nach, als sie aus der Tür traten. Sie waren aufs Feinste herausgeputzt. Vermutlich besuchten sie mal wieder eine Gala der vielen Gremien, denen sie angehörten. Michele hatte das Gefühl, dass ihre Großeltern gar nichts Sinnvolles unternahmen, sondern einfach ständig irgendwelche Dinnerparties und Veranstaltungen dieser Gremien besuchten. Was ist das für ein Leben? , fragte sie
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