Timeless: Roman (German Edition)
Angebote hättest …«
Junge, Junge, sie hatte fast vergessen, wie wenig die Jungs von 2010 das Spiel beherrschten. Philip hatte sie eindeutig für jeden anderen verdorben, denn er besaß Eleganz und Wortgewandtheit. Doch obwohl diese Unterhaltung ihr auf die Nerven ging, zwang sie sich zu einem Lachen, um Ben zu beruhigen. »Ist in Ordnung. Ich verstehe, was du sagen willst.«
»Cool. Willst du dann mit mir gehen? Ich meine, zum Ball?«
Michele senkte den Blick und überlegte, was sie antworten sollte. Du hast dich praktisch von Philip getrennt , sagte sie sich. Bei diesem Gedanken wurde ihr das Herz schwer. Du kannst nicht den Rest deines Lebens den anderen Jungs die kalte Schulter zeigen , auch wenn sie es am liebsten getan hätte.
»Hm, ja«, presste Michele schließlich hervor und schenkte ihm ein Lächeln. »Danke, Ben. Es ist nur so, dass ich eigentlich mit jemandem zusammen bin. Es ist kompliziert … so eine Art Fernbeziehung. Aber ich würde dich gern als gute Freundin begleiten, wenn das für dich okay wäre.«
Ben sah einen Moment lang niedergeschlagen aus, fing sich aber schnell wieder. »Mach dir keine Gedanken. Ich freue mich, wenn du mich als Freundin begleitest«, sagte er sanft.
»Super.« Inzwischen waren sie bei ihrem Klassenzimmer angelangt. »Wir reden später. Ähm … es wird bestimmt lustig.«
»Und ob.« Ben grinste. »Bis später.«
Als Michele wieder zu Hause im Windsor Mansion war und Annaleigh darüber informiert hatte, dass sie mit Caissie zusammen an einer Schulaufgabe arbeiten wollte, eilte sie in ihr Zimmer, griff nach Philips Notenheft und verstaute es sorgfältig in ihrer Umhängetasche. Sie nahm auch Lilys Heft mit Musikstücken, um ins Jahr 1925 zurückzugelangen, doch dann fiel ein loses Blatt heraus, ein Programm von einem ihrer Auftritte im Cotton Club. Als sich Michele bückte, um es aufzuheben, wurde sie schon durch den Zeitnebel gewirbelt.
Sie war wieder im Cotton Club. Zwei Wochen waren verstrichen, seit Lily den Gesangswettbewerb gewonnen hatte. Michele entdeckte sie, eingehüllt von Rauch, in einer Nische mit dem Produzenten Thomas. Als Lily Michele sah, strahlte sie und sprang auf. »Ich bin gleich zurück«, erklärte sie Thomas und steuerte die Damentoilette an. Michele folgte ihr. Nachdem sich Lily davon überzeugt hatte, dass sie allein waren, stieß sie einen kleinen Freudenschrei aus.
»Hallo, Geistmädchen, du bist wieder da!« Sie wirkte unsicher auf den Beinen. »Ich habe schon gegrübelt, wann du zurückkehren würdest.«
»Hast du getrunken?«, fragte Michele, als sie Lilys glasigen Blick bemerkte.
»Habe heute lediglich ein bisschen Prickelwasser zu mir genommen«, erwiderte Lily mit einem verschlagenen Grinsen.
»Warum lässt du dich von diesem Thomas angrapschen? Er ist viel zu alt. Hast du seine Geheimratsecken nicht bemerkt?« Michele verzog das Gesicht.
»Sei nicht so prüde«, schnappte Lily zurück, doch Michele spürte, dass sie ins Schwarze getroffen hatte. »Ich muss mich jetzt auf meinen Auftritt vorbereiten, es geht gleich los.«
»Okay, viel Glück«, rief Michele, als Lily davonrauschte.
Michele nahm im Publikum Platz. Erneut spielte das Fletcher Henderson Orchester, und heute Abend würde Louis Armstrong singen und Trompete spielen. Michele wiegte sich verträumt zur Musik und lauschte seiner unverkennbar rauen Stimme. Es war wie ein Traum!
Paare wiegten sich im Rhythmus der 1920er-Jahre, tanzten Charleston und andere Tänze, warfen Arme und Beine in die Luft. Die Frauen waren laut und ausgelassen, trugen Kleider mit tiefen Ausschnitten und rauchten Zigaretten – ein verblüffender Kontrast zu den Damen in den züchtigen hochgeschlossenen Kleidern, die Michele 1910 kennengelernt hatte. Die meisten Männer wirkten in ihren Nadelstreifenanzügen und Zylindern sehr elegant, aber Michele entdeckte auch einige bedrohlich wirkende Typen. Sie fragte sich, ob sie Gangster oder Schmuggler waren – oder beides.
Durch den Lärm der Unterhaltung hörte Michele plötzlich einen vertrauten Namen: »Mr. und Mrs. Windsor sind gerade eingetroffen. Sie wollen die neue Sängerin hören, von der alle Welt schwärmt, unsere Contessa!«
Michele gefror das Blut in den Adern. Sie meinten doch wohl nicht Lilys Eltern, oder? Michele beobachtete die gereckten Hälse und das Geflüster, das sich bis zum Eingang des Cotton Clubs fortsetzte. Ja, da waren sie wirk lich. Gerade betraten sie das Lokal – und sahen wütend aus. Offensichtlich hatten sie
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