Timeless: Roman (German Edition)
Erwähnung von »finanzieller Entschädigung« hellte sich Genes Miene sichtlich auf, aber Lily war in Tränen aufgelöst. »Den Vertrag auflösen?«, wiederholte sie mit erstickter Stimme.
»Da wäre noch Lilys Vorsingen bei Florenz Ziegfeld«, bemerkte Thomas und vermied es, Lily anzusehen. »Soll das heißen, dass es abgesagt ist?«
»Florenz Ziegfeld?«, wiederholte Lilys Mutter.
Michele hätte schwören können, dass ihre Miene einen Moment lang Stolz zeigte. »Von den Ziegfeld Follies?«
»Genau der«, erwiderte Thomas grimmig. »Er wird ziemlich ungnädig sein, wenn ich ihm erkläre, dass das Mädchen, von dem ich ihm vorgeschwärmt habe, nicht kommen wird.«
»Oh, Vater, bitte!«, wandte sich Lily an Mr. Windsor. »Bitte, lass mich hingehen.«
Mr. Windsor zögerte für den Bruchteil einer Sekunde, dann runzelte er die Stirn und schüttelte den Kopf. »Ich denke, du hast jetzt genug Showbusiness erlebt. Wir gehen.«
Als sie wieder zu Hause waren, in Lilys Schlafzim mer, war Lily am Boden zerstört. »Was soll ich nur tun?«, jammerte sie und warf sich aufs Bett. »Ich habe alles verloren.«
Michele wollte es nicht laut sagen, aber sie fühlte sich genauso niedergeschlagen wie Lily. So viel zu ihrem Plan, Philip durch ihre Lieder zu retten. Plötzlich war sie von schrecklicher Angst erfüllt: Ich werde doch nicht den Lauf der Geschichte verändert und Lilys Karriere verhindert haben? Vielleicht war ihr Auftritt im Cotton Club gar nicht vorgesehen, und ich habe ihr alle Chancen vermasselt, indem ich ihr geholfen habe?
»Es tut mir ja so leid, Lily«, flüsterte Michele. »Ich habe nur helfen wollen …«
»Es ist nicht deine Schuld«, erwiderte Lily und rieb sich die mascaraverschmierten Augen.
»Darf ich dich … etwas fragen? Warum wünschst du dir das so inbrünstig? Willst du ein großer Star werden?«, fragte Michele.
»Nein!« Lily richtete sich auf. »Natürlich ist es nicht nur das. Wenn ich auftrete, habe ich ein ganz besonderes Gefühl der Lebendigkeit. Wie dieses Lied von dir … nun, die Musik erfüllt meine Welt mit Farben. Ohne sie ist alles Grau in Grau, mir ist entsetzlich langweilig und ich verbringe jeden Tag gleich. Doch wenn ich auf der Bühne stehe … entsteht Magie«, erklärte Lily mit versonnenem Blick. »Ich liebe die Jazz- und Bluesmusik, sie schlägt eine Brücke zwischen Menschen, Rassen und Nationalitäten. Diese Musik bringt alle zusammen, das mag ich am meisten.«
Genau wie Philip , überlegte Michele. Erneut erfüllte sie Bewunderung für beide, für ihn und Lily. Dass sie beide in einer Welt voller Vorurteile und Rassismus lebten, die sie selbst nicht tolerierten, bewies Michele, wie außergewöhnlich sie waren.
Michele lächelte Lily an. »Ich verstehe genau, was du meinst. Und ich denke, wenn du es deinen Eltern so erklärst wie mir gerade, werden sie es auch verstehen. Vielleicht wollen sie einfach, dass du ihnen versprichst, dass das Showbusiness allein der Bühne vorbehalten bleibt, verstehst du, was ich meine?« Sie dachte einen Augenblick nach. »Sie sehen, wie du in irgendeiner Spelunke auftrittst, und es ist wohl verständlich, dass sie ausrasten. Nicht wegen deinem Auftritt, sondern vielmehr wegen dem, was in solchen Lokalen los ist. Zeig ihnen, dass sie sich keine Sorgen machen müssen, du könntest Alkoholikerin werden oder ein ›gefallenes Mädchen‹ oder wovor auch immer sie Angst haben. Zeig ihnen, dass du mit deinem Talent Gutes bewirken willst.« Plötzlich erinnerte sie sich an Lilys Notenheft. »Zeig’s ihnen, schreib einen Song, der alles enthält, was du mir erzählt hast.«
»Aber du bist die Songschreiberin, nicht ich«, bemerkte Lily und runzelte die Stirn.
»Das kannst du auch«, ermutigte Michele sie. »Versuch einfach, etwas Ähnliches wie diese Jazzsongs aufzuschreiben, die du so gern magst, und du wirst sehen, dass auch du es kannst. Vertrau mir, ich weiß es.«
Lily fiel Michele um den Hals. »Ich weiß gar nicht, wie ich dir für alles danken soll. Eigentlich war ich die meiste Zeit ein richtiges Ekel.«
Michele grinste. »Na ja, für mich war es auch ganz schön aufregend, zumindest meistens.«
»Wenn ich meine Eltern überzeuge, dass ich weiterma chen darf, dann verspreche ich dir, dass ich auch deine Lieder singe«, sagte Lily. »Ich weiß, wie viel es dir bedeutet, und das ist das Mindeste, was ich tun kann. Außerdem sind die Songs unheimlich schön.«
»Danke. Uff, fast hätte ich’s vergessen.« Michele holte das
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