Timeless - Schatten der Vergangenheit: Roman (German Edition)
die Nerven. Zum Arzt sind wir nur Annaleighs wegen gefahren. Sie ist so freundlich und sorgt sich sehr um uns.«
»Was hat deine Nerven so beansprucht?«, fragte Michele, als sie ihren Platz auf der gegenüberliegenden Seite des langen Eichenholz-Esstischs einnahm.
Bevor die beiden antworten konnten, kam das Küchenmädchen Martha mit einer dampfenden Suppenterrine herein. In diesem Moment fiel Micheles Blick auf das Fotoalbum, das zwischen ihren Großeltern auf dem Tisch lag, und beinahe hätte sie hörbar nach Luft geschnappt.
Seit dem Tag ihres Einzugs bei Walter und Dorothy hatte Michele das Gefühl gehabt, dass die beiden etwas vor ihr verbargen. Sooft sie Michele ansahen, legte sich die Last dieses Geheimnisses wie ein Schatten auf ihre Gesichter und brachte ihre Unterhaltungen ins Stocken. Den ersten wichtigen Hinweis darauf, was sie vor ihr geheim hielten, hatte sie am Abend vor einem Klassenausflug nach Newport entdeckt, als sie in der Bibliothek ebendieses uralte Fotoalbum der Windsors gefunden hatte und, als sie es aufschlug, auf ein Schwarz-Weiß-Bild von Irving Henry gestoßen war. Es zeigte ihn als Anwalt der Familie, etwa um 1900. Die nervöse Reaktion ihrer Großeltern, als sie Michele mit dem Fotoalbum vorfanden, bestätigte ihre Vermutung: Sie hatten gewusst, dass Micheles Vater ein Zeitreisender aus der Vergangenheit war, und hatten es ihr verheimlicht.
In den vergangenen Tagen hatte sie stets auf den richtigen Zeitpunkt gewartet, um ihren Großeltern mitzuteilen, dass sie die Wahrheit kannte … aber bis heute hatte sie sich nicht überwinden können, es auszusprechen. Sie hatte Angst, an dieses Geheimnis ihrer Großeltern zu rühren, und sie fürchtete sich vor ihren Reaktionen, wenn sie erfuhren, dass auch sie eine Zeitreisende war.
Michele starrte auf den abgegriffenen Ledereinband des Albums, auf dem die Worte Familienchronik der Windsors, 188 0 –1910 eingeprägt waren. Von ihren Zeitreisen wusste Michele, dass Walters Cousine Stella Windsor die alten Fotos zu einem Album zusammengestellt hatte – als Weihnachtsgeschenk für ihre Eltern im Jahr 1940. Sie selbst hatte darin bisher nur das eine Bild von ihrem Vater gefunden, aber jetzt kam ihr in den Sinn, dass es noch weitere geben könnte. Bei diesem Gedanken beschleunigte sich ihr Puls. Nachdem Martha gegangen war, räusperte sich Micheles Großvater nervös.
»Wir haben dir etwas zu sagen.«
Mit angehaltenem Atem blickte Michele die beiden an.
»Trägst du ihn?«, fragte Dorothy plötzlich mit merkwürdig überdrehter Stimme.
»W-was soll ich tragen?«
»Den Schlüssel!«
Michele starrte ihre Großmutter in ungläubigem Schweigen an.
»Sie weiß, dass du ihn hast – sie weiß, wer du bist – und sie wird vor nichts zurückschrecken, um dich zu vernichten. Du bist nicht sicher vor ihr, zumindest wenn du ihm auch nur ein bisschen ähnlich bist – aber du darfst den Schlüssel nicht aus den Augen lassen. Er ist vielleicht dein einziger Schutz.«
Eisig lief es Michele den Rücken hinunter, sie brachte kein Wort heraus. Eine Weile lang war außer Dorothys stoßweisen, verängstigten Atemzügen kein Laut im Zimmer zu hören.
»Vor wem bin ich nicht sicher?«, flüsterte Michele.
Bei dieser Frage krümmte sich Dorothy schluchzend zusammen und raufte sich die Haare. Der Anblick ließ Michele erschaudern, ihr Herz raste.
»Was ist? Was ist denn los?«, fragte sie verzweifelt.
Walter beugte sich auf seinem Stuhl zu Dorothy hinüber, um ihr über den Rücken zu streichen. »Es ist gut, meine Liebe … Es wird wieder gut.« Mit gequälter Miene wandte er sich wieder Michele zu. »Diese Sache macht deiner Großmutter schon seit siebzehn Jahren zu schaffen. Ich hatte gehofft, es wäre vorbei, und wir müssten nie mit dir darüber sprechen. Aber ich fürchte, wir können dich nicht mehr länger im Dunkeln lassen.«
»Du bist in Gefahr«, heulte Dorothy.
Wie erstarrt musste Michele mit ansehen, wie ihre kultivierte Großmutter völlig die Fassung verlor. Dieser Anblick war Furcht einflößender als alle Worte.
»Warum gehst du nicht nach oben und legst dich hin, während ich mit Michele spreche«, schlug Walter ruhig vor. »Du wirst noch ganz krank, wenn du dir solche Sorgen machst. Versuch dich etwas auszuruhen.«
»Nein.« Dorothy atmete tief durch. Obwohl sie noch immer zitterte und ihre Augen gerötet waren, schien sie ihre Beherrschung ein Stück weit zurückzugewinnen. »Ich muss dabei sein.«
»Sagt mir bitte einfach, was
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