Timeless - Schatten der Vergangenheit: Roman (German Edition)
hohen Rundbogenfenstern blickte, die hinter schweren Damastvorhängen den Ausblick auf die Park Avenue reflektierten. Mit den Augen suchte sie die Tanzfläche nach Philip und Kaya ab, doch die beiden waren noch nicht da.
»Alle sehen so … gut aus«, meinte Matt, der den Blick anerkennend über die Mädchen schweifen ließ.
Sie hatten sich wirklich auf das Motto Vergoldetes Zeitalter eingelassen und trugen aufwendige Kleider zur Schau, die wie aufreizendere, figurbetontere Versionen der klassischen Ballkleider wirkten.
Caissie verdrehte die Augen und stieß ihn in die Rippen. »Also bitte, Matt.«
Auf einem Balkon in der ersten Etage stand eine komplette Jazzband bereit. Als Michele und Caissie gerade ihre Stolen bei einem Garderobenmädchen abgaben, setzten die Musiker zu einer frenetischen Cover-Version von Nina Simones »Take Care of Business« an, komplett mit Hörnern, Kastagnetten und einer Sängerin, die Ninas rauchige Stimme imitierte.
»Ob man das wohl auf einem echten Ball im Vergoldeten Zeitalter gespielt hätte?«, fragte Caissie skeptisch.
»Kaum.« Michele lachte. »So stellt sich die Band das wahrscheinlich vor. Aber es ist definitiv tanzbarer als das, was damals wirklich gespielt wurde.«
Caissie und sie konnten ein Kichern nicht unterdrücken, als sie ihre Klassenkameraden dabei beobachteten, wie sie zu der sperrigen Jazzmusik sexy zu tanzen versuchten.
»Pseudo-Jamaikaner-Alarm«, flüsterte Caissie freudestrahlend, als die beiden blonden Möchtegern-Rastafaris ihrer Schule auf die Tanzfläche stolzierten, mit dem Kopf nickten und sich zum Rhythmus der Musik bewegten, als wollten sie einen Regentanz aufführen.
»Dieser Abend könnte doch besser werden, als ich dachte«, sagte Michele, während sie belustigt das Getue der Möchtegern-Jamaikanerinnen beobachtete.
Und dann wurde sie am ganzen Körper von Spannung erfasst, und eine Gänsehaut überlief ihre Arme. Sie konnte Philip zwar nicht sehen, aber sie spürte seine Gegenwart. Als sie sich umdrehte, entdeckte sie ihn tatsächlich, zusammen mit Kaya, die sich bei ihm untergehakt hatte. Für einen Augenblick schien die Zeit stillzustehen. Kaya und alle anderen auf dem Ball waren verschwunden, und Michele und Philip waren allein im Ballsaal. In seinem Smoking, mit den glatt zurückgegelten Haaren und dem funkelnden Siegelring am Finger sah er dem Philip Walker, in den sie sich hundert Jahre zuvor verliebt hatte, ähnlicher als je zuvor. Ihr fiel auf, dass er beunruhigt wirkte, und die ser Ausdruck verstärkte sich, als sein Blick auf Michele fiel.
»Bist du so weit?«
Bens Stimme durchbrach den Zauber, und Michele sah auf. Die Bilder und Geräusche des Balls kehrten zurück, und sie ertappte sich dabei, wie sie Kaya anstarrte, die in ihrem tief ausgeschnittenen, trägerlosen rosa Kleid hinreißend aussah.
»Klar«, sagte sie und ging mit Ben auf die Tanzfläche, als die Band den Gershwin-Klassiker »They Can’t Take That Away From Me« spielte. Bei den ersten Textzeilen folgten ihnen Philip und Kaya. Während sie mit ihren jeweiligen Partnern tanzten, sahen sich Michele und Philip tief in die Augen.
We may never, never meet again on the bumpy road to love.
Still I’ll allways, always keep the memory of …
Michele spürte einen Kloß in ihrem Hals wachsen und musste den Blick abwenden. Sobald der Song zu Ende war, wandte sie sich mit einem gezwungenen Lächeln an Ben. »Ich hole mir etwas zu trinken. Möchtest du auch etwas?«
»Ich will nichts. Soll ich mitkommen?«
»Nein, schon in Ordnung«, sagte Michele. »Amüsier dich ruhig, ich bin gleich wieder da.«
Gerade hatte sie den Bowle-Tisch erreicht, als plötzlich Klavierakkorde durch die Luft schwebten, die ihr nur allzu vertraut waren. Sie fuhr herum und starrte die Band auf dem Balkon an. Spielten sie wirklich diesen Song ?
Ewig schon ist mein Leben ein Tal der Tränen.
Es kommt die Zeit,
da selbst starke Menschen Rettung brauchen.
Dann bin ich mit dir an einem anderen Ort,
in einer anderen Zeit.
Die Welt ist mit Licht erfüllt,
Und ich erwache zu neuem Leben …
Michele sah ihre Mitschüler zu dem Lied tanzen, das Philip und sie vor hundert Jahren geschrieben hatten, und vor Staunen blieb ihr der Mund offen stehen. Sie suchte ihn in dem Meer von Gesichtern, konnte ihn aber nirgends finden. Und dann spürte sie kribbelnd die Berührung einer fremden Hand auf ihrer. Er stand direkt hinter ihr.
»Was war das gestern mit den Notenblättern?«, platzte Philip
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