Timeless - Schatten der Vergangenheit: Roman (German Edition)
glauben, was dort geschrieben stand. So wie sich Irvings Leben an jenem Tag, an dem er Millicent August begegnet war und die Wahrheit erfahren hatte, für immer verändert hatte, so hatte seine Geschichte jetzt auch Micheles Welt verändert. Sie konnte all das kaum begreifen, weder Rebeccas Schandtaten noch die Erkenntnis, dass ihr Vater und sie Teil von etwas Großem waren, viel größer, als sie je geahnt hatte. Da draußen war eine ganze Welt voller Zeitreisender, die alle das Gleiche erlebt hatten wie sie! Ihr Herz raste bei der Vorstellung, ins Aura Hotel zu fahren und die anderen Hüter der Zeit kennenzulernen – und bei dem Gedanken, wie nahe sie der Zentrale der Zeitgesellschaft in ihrem früheren Zuhause in Los Angeles bereits gewesen war.
Die Hüter der Zeit können mir sagen, was aus meinem Vater geworden ist, ging Michele auf. Sie können mir helfen, ihn zu finden.
Doch dann fiel ihr wieder ein, dass ihr Schlüssel verschwunden war, und eine Woge der Verzweiflung überrollte sie. Sie hatte den wertvollsten Besitz ihres Vaters verloren – und damit die einzige Möglichkeit, Kontakt mit ihm aufzunehmen.
Und wie steht es damit, dass ich heute Abend auf dem Ball in die Vergangenheit gereist bin? , fragte sie sich, sprang auf und lief voller Hoffnung im Tunnel auf und ab. Aber als sie darüber nachdachte, kam Michele zu dem Schluss, dass es eine andere Erklärung geben musste – zum Beispiel die gemeinsame Vision, von der Caissie gesprochen hatte. Wenn sie wirklich ohne den Schlüssel reisen könnte, wäre sie ins Jahr 1888 versetzt worden, als sie das Tagebuch ihres Vaters las – so wie der Schlüssel sie einige Monate zuvor beim Lesen von Clara Windsors Tagebuch ins Jahr 1910 befördert hatte, in die Zeit ihrer Urgroßtante. Und so, wie sie nach 1925 gelangt war, in die Zeit von Lily Windsor, als sie die Gedichte ihrer Urgroßmutter aus jener Zeit entdeckt hatte. Nein, die Kraft des Zeitreisens lag in ihrem Schlüssel. Und sie hatte ihn verloren.
»Es tut mir leid, Dad«, flüsterte sie in die Stille hinein.
Bei dem Gedanken, dass sich Rebecca gerächt und den Schlüssel abermals gestohlen hatte, drehte sich Michele der Magen um. Philip hatte zwar gesagt, diese Kreatur habe Michele im Gesangszimmer nicht angerührt, aber dennoch konnte es kein Zufall sein, dass jemand ihren Schlüssel ausgerechnet in dem Moment gestohlen hatte, in dem Rebecca aufgetaucht war. Der Dieb musste in ihrem Auftrag gehandelt haben.
Aber noch fehlte ein großes Teil des Puzzles. Wenn Rebecca aus der Gesellschaft ausgeschlossen worden war und keinen Schlüssel besaß, um ihre Macht wiederzuerlangen – wie hatte sie dann letzten Endes doch eine Zeitreisende werden können? Wie war es möglich, dass sie Walter und Dorothy noch aus dem Grab terrorisierte und Michele und Philip nachgestellt hatte? Wie war es möglich, dass sie wie ein Teenager aussah? Wie konnte sie überhaupt irgendetwas tun, wenn sie doch tot und leblos unter der Erde liegen müsste?
Michele griff nach dem Handbuch der Zeitgesellschaft, weil sie wissen wollte, ob diese Zauberanleitung Antworten für sie bereithielt. Für einen Moment schloss sie die Augen und machte sich bewusst, dass dieses Buch im Aura Hotel gewesen war, im Mittelpunkt der Auseinandersetzung zwischen Irving, Millicent und Rebecca. Seitdem waren hundertzwanzig Jahre vergangen, und in dieser Zeit war so viel geschehen. Es war unglaublich, dieses Buch anzusehen und zu wissen, dass es all das überdauert hatte und jetzt in ihren Händen lag.
Sie schlug es auf und begann die Worte zu überfliegen, zu neugierig und ungeduldig, um richtig zu lesen, obwohl ihr klar war, dass sie das bald würde tun müssen.
An einigen Passagen blieb ihr Blick hängen. »Alterswechsel« war der Titel eines Kapitels, und als sie den ersten Satz las, klappte ihr der Kiefer herunter. »Alterswechsel ist die Kunst, im Körper seines jüngeren oder älteren Ichs durch die Zeit zu reisen.« Sie las den Satz noch einmal und fragte sich, ob das wirklich bedeutete, dass Menschen in den Vierzigern oder Fünfzigern im Körper ihres zwanzigjährigen Ichs durch die Zeit reisen konnten – und umgekehrt.
Das folgende Kapitel trug die Überschrift »Das Sichtbar keitsparadigma« und enthüllte, dass man »um als körperliches, sichtbares menschliches Wesen in einer anderen Zeit zu erscheinen und dort Veränderungen bewirken zu können, sieben Tage in Folge in dieser anderen Zeit verbringen muss, bevor der Körper wahrhaft die
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