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Timm Thaler

Timm Thaler

Titel: Timm Thaler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Krüss
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Gesicht, daß sie schlecht gekleidet sei und daß sie sich auf der Straße nicht mehr mit ihr sehen lassen könne. (Auf den Gedanken, ihrer sehr viel ärmeren Freundin ein Kleid zu kaufen, kam sie offenbar nicht.) Frau Bebbers Kuchen tadelte sie vor allen Leuten und kaufte weit teureres Gebäck in einer Konditorei der Innenstadt. (Daß Frau Bebber ihr wochenlang ganze
    Berge von Kuchen angeschrieben hatte, war ihr offenbar entfallen.) Erwin, dem Frau Thaler heimlich zusätzliches Taschengeld gab,
    spielte jetzt reicher Leute Kind. Er trug Schuhe mit lächerlich dicken Specksohlen, Anzüge mit langen Hosen und sehr bunte Krawatten.
    Auch rauchte er heimlich und spielte den Pferdekenner.
    Timm, von dem der Reichtum stammte, war der einzige, der ihn
    heimlich verfluchte. Er lief oft stundenlang in abgelegenen Teilen der Großstadt herum in der Hoffnung, Herrn Lefuet zu begegnen. Er hoffte, daß der karierte Herr ihm sein Lachen wiedergäbe, wenn er künftig auf allen Reichtum verzichtete. Aber Herr Lefuet zeigte sich niemals.
    Der karierte Herr jedoch hatte den Jungen keineswegs aus den
    Augen verloren. Manchmal nämlich fuhr ein viertüriges Auto durch
    Timms Wohngegend, und auf den Rückpolstern saß ein Herr mit
    einer karierten Ballonmütze. Wenn dieser Mann Timm irgendwo
    entdeckte, befahl er dem Chauffeur zu halten und beobachtete den
    Jungen mit besorgter, wenn nicht sogar mit ängstlicher Miene.
    Dieser Herr hatte auch dafür gesorgt, daß ein Werbekalender in die Gassenwohnung kam, in dem zwischen Reklameversen für Kaffee,
    Kakao oder Butter Aussprüche berühmter Leute standen. Nicht
    zufällig las man auf der ersten Seite:

    „Man sollte einen Vertrag wie eine Heirat behandeln: genau und
    sorgsam überlegen, ehe man ihn eingeht; aber treu daran festhalten, wenn man ihn geschlossen hat.
    L. Lefuet“

    Zum Glück für Timm schnitt die Stiefmutter dieses Blatt aus, weil die Rückseite mit Sterndeuterei gefüllt war. (Sie war unter dem
    Sternbild des Skorpions geboren.)
    Das Schlimmste für Timm wurde mit der Zeit die Feindseligkeit
    in der Gasse. Man nahm sein immer ernstes Gesicht als Zeichen für Hochmut und Dünkel und warf ihn mit Erwin und der Stiefmutter in
    einen Topf. Und auf diesem Topf stand in großen, fetten Lettern
    geschrieben: „Neureiche Protze!“
    Niemand war deshalb so froh wie Timm (soweit er noch froh sein
    konnte), als die Stiefmutter die Gassenwohnung verließ und ein
    Stockwerk in einer teuren Straße mietete.
    Die Möbel, sofern sie nicht neu angeschafft worden waren,
    verschenkte die Stiefmutter an die wenigen Leute in der Gasse, mit denen sie noch sprach. Sie wollte auch die Standuhr verschenken, in der Timms Ersparnisse versteckt waren. Zum Glück hörte der Junge
    früh genug davon und bat, die Standuhr in sein Zimmer in der neuen Wohnung stellen zu dürfen. Er bat so eindringlich darum, daß die
    Stiefmutter es mehr verwundert als verärgert gestattete. So zog der stundenschlagende Geldschrank mit in Timms erstes eigenes
    Zimmer, in dem der Junge zum erstenmal allein und in Ruhe seine
    Schularbeiten machen konnte.
    Die Stiefmutter nahm sich in der neuen Wohnung ein
    Dienstmädchen. Aber kein Mädchen hielt es längere Zeit bei ihr aus.
    Auf die Marie folgte Berta, auf die Berta Klara, auf Klara folgte Johanna, und schließlich kam eine alte Frau, die Griet hieß. Die
    blieb, weil sie sich nichts gefallen ließ und zurückzankte, wenn
    Timms Stiefmutter mit ihr stritt.
    Unter dem Zanken und Wiederversöhnen der beiden Frauen
    vergingen die Jahre, bis Timm vierzehn war und einen Beruf
    ergreifen mußte.
    Die Stiefmutter wünschte und befahl, daß Timm als Lehrling in
    ein Wettbüro eintreten sollte. Das hatte einen guten Grund: Genau an seinem dreizehnten Geburtstag hatte Timm sehr viel Geld auf ein
    Pferd gesetzt, das nur durch eine Gefälligkeit der Rennleitung zum letzten Male mitlaufen durfte, bevor es sein Gnadenbrot erhielt. Auf dieses Pferd hatte niemand gewettet – außer Timm! Und weil Timm
    darauf gewettet hatte, gewann das Pferd zum Staunen aller
    Fachleute. Der Junge erhielt bare dreißigtausend Mark. Und nach
    diesem Gewinn erklärte er seiner Stiefmutter, sie seien jetzt reich genug, und er werde nicht mehr wetten. Weder Tränen noch Schläge
    konnten ihn umstimmen. Niemals mehr ging er zur Pferderennbahn.
    Erwin und die Stiefmutter versuchten noch einige Male allein ihr
    Glück. Aber als sie am Ende dreitausend Mark verwettet und kaum
    dreihundert Mark gewonnen

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