Timm Thaler
bewiesen, daß dieser Stein vollkommen zu Recht aufgestellt worden war. Es lag
sogar eine Sondergenehmigung dafür vor, einen Marmorstein zu
setzen. Der Friedhofswärter war gerade ein bißchen eingenickt
gewesen, als die Männer gekommen waren. Sie hatten ihn nicht
wecken wollen.
„Übrigens“, fügte einer der Männer hinzu, „das Geld soll von
einem gewissen Timm Thaler bezahlt werden.“
„Stimmt“, sagte Timm. „Hier ist das Geld.“ Er holte es wieder aus der Manteltasche und zählte es einem Arbeiter in die Hand. Was ihm blieb, waren fünfzig Pfennig.
Der Friedhofswärter stapfte knurrend zu seiner Loge zurück. Die
Arbeiter räumten ihre Gerätschaften zusammen, tippten an ihre
Schirmmützen und gingen ebenfalls davon.
Timm stand mit einer Barschaft von fünfzig Pfennig und einem
merkwürdigen Vertrag allein am Grab des Vaters und erzählte einem Toten all das, was er so gern einem lebendigen Menschen berichtet hätte.
Schließlich schwieg er, betrachtete den Grabstein noch einmal,
fand ihn sehr schön und sagte dann: „Ich komme wieder, wenn ich
lachen kann. Bis bald!“ Doch plötzlich stutzte er und setzte hinzu:
„Hoffentlich bis bald!“
An der Portierloge nahm er von einem verärgerten
Friedhofswärter die Schokolade in Empfang und kaufte dann für sein letztes Geld eine Straßenbahnkarte. Wohin er gehen würde, wußte er noch nicht. Er wußte nur, daß er jetzt den karierten Herrn suchen und sein verkauftes Lachen zurückgewinnen wollte.
Neunter Bogen
Herr Rickert
Die Straßenbahn war fast leer. Außer Timm saß nur ein rundlicher
älterer Herr mit einem lustigen Mopsgesicht im Wagen.
Er fragte den Jungen, wohin er fahre.
„Zum Bahnhof“, antwortete Timm.
„Aber dann hättest du eine Umsteigekarte lösen müssen. Diese
Bahn fährt nicht zum Bahnhof. Ich weiß es genau, weil ich auch
dorthin muß.“
Timm, der seine Mütze auf die Knie gelegt hatte, fühlte unter
seinen Fingern das Papier des Vertrages knistern. Da kam ihm
plötzlich der Gedanke, möglichst unsinnige Wetten einzugehen.
Vielleicht würde er eine davon verlier ren; dann hätte er sein Lachen zurückgewonnen!
So sagte er: „Ich wette mit Ihnen, mein Herr, daß diese
Straßenbahn zum Bahnhof fährt.“
Der Herr lachte und sagte dasselbe wie der dicke Friedhofswärter:
„Diese Wette hast du verloren, ehe du sie abgeschlossen hast!“ Er fügte hinzu: „Wir sitzen nämlich in der Nummer neun, und die ist
noch nie zum Bahnhof gefahren.“
„Trotzdem wette ich mit Ihnen“, sagte Timm in so bestimmtem
Ton, daß der Herr stutzig wurde.
„Du scheinst deiner Sache ja sehr sicher zu sein, Junge. Um was
willst du wetten?“
„Um eine Fahrkarte nach Hamburg“, sagte Timm schnell. Und er
selbst war über den plötzlichen Einfall am meisten verblüfft.
(Immerhin lag der Gedanke nahe; denn Timm hatte ja schon seit
längerer Zeit den Plan, zur See zu fahren.)
„Willst du denn nach Hamburg fahren?“
Timm nickte.
Das freundliche Mopsgesicht legte sich in Schmunzelfalten.
„Du brauchst nicht zu wetten, Junge! Ich fahre nämlich auch nach
Hamburg und habe ein ganzes Abteil gemietet. Der Herr, der mich
begleiten wollte, ist verhindert. Da könntest du mir Gesellschaft leisten.“
„Trotzdem biete ich Ihnen die Wette an“, sagte Timm ernst.
„Schön! Wetten wir also. Aber ich warne dich: Du verlierst! Wie
heißt du?“
„Timm Thaler.“
„Ein hübscher Name. Klingt nach viel Geld. Ich heiße Rickert.“
Die beiden gaben sich die Hand. Damit waren sie einander
vorgestellt, und die Wette war abgeschlossen.
Als der Schaffner zur Kontrolle durch den Wagen ging, fragte
Herr Rickert: „Fahren Sie zum Bahnhof?“
Gerade wollte der Schaffner antworten, als die Straßenbahn mit
einem Ruck hielt und Timm gegen Herrn Rickert gedrückt wurde.
Der Schaffner eilte nach vorn auf die Plattform. Dort war eben ein Beamter mit einer dicken silbernen Achselschnur aufgestiegen. Die beiden wechselten ein paar aufgeregte Worte. Dann kam der
Schaffner in den Wagen zurück und wandte sich an Herrn Rickert.
„Mein Herr“, sagte er, „wir fahren heute ausnahmsweise über den
Bahnhof, weil auf unserer Strecke die Oberleitung gerissen ist. Aber normalerweise fährt die Neun nicht in diese Richtung.“
Er tippte an seinen Mützenschirm und ging wieder nach vorn.
„Donnerwetter, das war eine schnell gewonnene Wette, Timm
Thaler!“ lachte Herr Rickert. „Du hast bestimmt gewußt, daß
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