Timm Thaler
in Genua fliegende Straßenbahnen
gibt. Ich wette mit Ihnen um eine Flasche Rum!“
„Hokuspokus!“ sagte Jonny. „Außerdem frag’ ich mich, wovon
du eine Flasche Rum bezahlen willst.“
„Ich hab’ eine in meinem Seesack!“ log Timm. „Also wetten wir
nun oder nicht?“
Jonny drehte sich um und sagte: „Und wenn du um eine Million
wetten würdest: Ich glaub’s trotzdem nicht. Dafür kenne ich zwei
Dinge viel zu gut: Genua und die Straßenbahnen!“
„Dann können Sie ja beruhigt wetten. Eine Flasche Rum ist doch
für einen Steuermann ein Klacks!“
„Gibst du mir dein Ehrenwort, daß du dich wieder hinlegst und
die Augen zumachst, wenn ich mit dir wette?“
„Mein Ehrenwort!“ rief Timm.
Da gab der Steuermann dem Jungen die Hand und sagte: „Wenn
es in Genua…“ Er stockte, weil etwas Hartes ans Fenster des
Steuerhauses flog. Es schien aber nichts von Bedeutung zu sein. So wiederholte Jonny: „Wenn ich in Genua eine fliegende Straßenbahn
sehe, habe ich die Wette verloren, und du kriegst eine Flasche Rum.
Sehe ich keine, dann gehört die Flasche in deinem Seesack mir. So, und nun leg dich gefälligst wieder hin! In drei Stunden beginnt dein Dienst.“
Diesmal schlief Timm wirklich ein. Und im Traum hörte er sich
selber lachen. Aber in das Gelächter schrillte das blecherne Bimmeln einer Straßenbahn, die über seinem Kopf durch den Himmel fuhr.
Als der Steuermann ihn bei Anbruch des Tages weckte, hatte der
Junge immer noch das Geläute in den Ohren, und das ängstigte ihn.
Timm fürchtete sich vor Genua.
Vierzehnter Bogen
Die unmögliche Wette
Timm fürchtete sich vor Genua; aber zugleich sehnte er die Stadt
herbei.
Seine bange Ungeduld wurde auf eine harte Probe gestellt; denn
es dauerte viele Tage, bis der Dampfer „Delphin“ endlich in den
Hafen von Genua einschwenkte. Es war an einem strahlend blauen
Tag kurz vor Mittag. Timm war unter einem Vorwand in das
Steuerhaus getreten. Hier stand er nun neben Jonny, dem
Steuermann, und schaute hinüber zur Oberstadt von Genua. Er trug
die schwarz-weiß karierte Hose und die Schürze aus dickem grauem
Leinen, die ihm der Koch Enrico zum Kartoffelschälen gegeben
hatte. Die Häuser Genuas sah man schon deutlich. Sogar Omnibusse
und Autos konnte man in den Straßen der Oberstadt erkennen. Und
mit jedem Augenblick wurde die Sicht klarer.
Plötzlich gab Jonny einen überraschten Laut von sich, halb war’s
ein Glucksen, halb ein Brummen. Timm sah ihn verwundert an: Der
Steuermann hatte die Augen zusammengekniffen. Jetzt öffnete er sie wieder, aber nur, um sie gleich darauf abermals zu schließen und sie danach wieder weit aufzureißen. Dann sagte Jonny ganz langsam
und beinahe feierlich: „Ich werd’ verrückt!“
Timm ahnte etwas. Er hatte einen sehr trockenen Hals. Aber er
wagte nicht, den Blick wieder auf Genua zu richten. Er starrte weiter unverwandt den Steuermann an.
Jonny sah ihn jetzt auch an und sagte kopfschüttelnd: „Du hattest recht, Timm; es gibt in Genua fliegende Straßenbahnen. Die Wette
hast du gewonnen.“
Timm schluckte schwer. Es hatte keinen Sinn mehr, die Augen
von dem Unvermeidlichen abzuwenden. Er drehte den Kopf und
blickte hinüber zur Oberstadt. Dort schwebte in einer Straße, mitten zwischen den Häusern, eine Straßenbahn durch die Luft, eine
richtige Straßenbahn. Es war deutlich zu erkennen.
Aber mit einem Male erschien Pflaster unter der Straßenbahn,
festes Straßenpflaster mit Schienen darin. Mit einem Male schwebte die Straßenbahn nicht mehr, sondern rollte auf Schienen die Straße entlang.
„Es war nur eine Luftspiegelung“, rief Timm fast jubelnd. „Ich
habe die Wette verloren!“
„Du tust, als freutest du dich über die verlorene Wette“, sagte
Jonny erstaunt, und Timm merkte, daß er einen Fehler gemacht
hatte. Aber ehe er sich korrigieren konnte, fuhr Jonny fort: „Du hast die Wette trotzdem gewonnen, Timm. Die Wette ging nämlich
darum, ob man in Genua fliegende Straßenbahnen sehen kann, und
nicht darum, ob es sie wirklich gibt. Und gesehen habe ich sie, daran ist kein Zweifel.“
„Dann habe ich also doch gewonnen. Wie schön!“ sagte Timm.
Und diesmal versuchte er, seiner Stimme einen freudigen Ton zu
geben. Aber die Stimme blieb heiser und ohne Spur von
Fröhlichkeit. Es war nur gut, daß Jonny auf das Steuerruder
achtgeben mußte.
„Wie bist du nur auf diese verrückte Wette gekommen?“ fragte er
über die Schulter. „Hast
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