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Timm Thaler

Timm Thaler

Titel: Timm Thaler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Krüss
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Spiegel über dem Waschbecken selbst zittern und erschrak vor dem
    grinsenden Gesicht, das ihn anstierte, seinem eigenen Gesicht.
    Seltsamerweise brachte der Anblick seines Spiegelbildes ihn in
    eine Art wütender Bewegung. Er sprang aus dem Bett und fuhr wie
    wild in seine Kleider. Es war, als seien die Ängste jetzt in sein Spiegelbild gebannt und er selbst habe die Freiheit zu tun und zu lassen, was er wolle. So fand er auch den Mut, die Kajüte zu
    verlassen und auf den Gang hinauszulaufen. Er tastete sich durch das schwankende Schiff zur eisernen Leiter vor und erkletterte sie. Oben durchnäßte eine überschwappende Welle ihn bis auf die Haut. Aber
    er hastete an Tauen und Stangen weiter, kletterte mit wütender
    Zähigkeit hinauf aufs Bootsdeck und trat endlich in das qualmig-
    warme Steuerhaus ein, das durch eine Funzel aus dickem Glas matt
    erhellt war.
    Da stand Jonny, der Bär aus Hamburg, und sah den Jungen mit
    ruhigem Verwundern an.
    „Was willst denn du bei dem Wetter hier oben?“
    „Steuermann, wo ist Kreschimir?“ Timm schrie die Frage fast, um
    das Dröhnen einer Woge zu übertönen, die sich an der Bordwand
    brach.
    „Kreschimir ist krank, mein Junge. Aber mach dir keine Sorgen.
    Es ist nur der Blinddarm, und daran stirbt man heute nicht mehr!“
    „Wo ist er aber?“ wiederholte Timm beharrlich. „Wo ist
    Kreschimir jetzt?“
    „Es war zufällig ein Patrouillenboot von der Küste in unserer
    Nähe. Das hat ihn an Land gebracht. Hast du nicht gemerkt, daß die Maschinen stoppten?“
    „Nein“, sagte Timm beklommen. Und mit ruhiger Stimme fügte
    er hinzu: „Kreschimir ist nicht krank. Das alles hat der Baron
    veranstaltet. Ich sah seine Augen durch das Bullauge.“
    „Du hast im Bullauge die Augen des Barons gesehen?“ Jonny
    lachte. „Junge, du phantasierst! Komm, zieh dich aus, nimm die
    Decke da und leg dich auf die Polsterbank. Hier oben bei mir hast du bestimmt keine schlechten Träume!“
    Im warmen Steuerhaus neben diesem besonnenen gutmütigen
    Riesen kam es Timm beinahe selbst so vor, als ob er nur phantasiert habe. Aber in diesem Augenblick erinnerte er sich wieder an die
    Radionachricht über das Verschwinden des Barons nach Rio de
    Janeiro, und er sah sich selbst wieder im Spiegel über dem
    Waschbecken: zitternd und mit grinsendem Gesicht. Und er
    entschloß sich, dem Baron alles zuzutrauen und ihn, soweit er es
    vermochte, nie mehr zu fürchten. Denn zum Glück hatte Timm den
    Baron auch schwach gesehen.
    Der Junge legte sich nun schweigend auf die Polsterbank, die hin
    und her und auf und ab schwankte, weil die Bewegungen des
    Schiffes hier oben noch heftiger waren als unten in der Kajüte.
    Die durcheinanderlaufenden Gedanken und ein merkwürdiges
    Gefühl im Magen ließen Timm nicht wieder einschlafen. So lag er
    Stunde um Stunde wach, während Jonny ruhig am Steuerruder stand
    und manchmal eine Zigarette rauchte. Darüber ließ der Sturm sehr
    allmählich nach.
    Timm brütete in diesen Stunden über einer außergewöhnlichen
    Wette. Sie sollte so ungeheuerlich sein, daß er sie unbedingt
    verlieren mußte. Der Baron hatte mit Timms Angst gespielt – nun
    sollte er selber Angst bekommen. Aber so sehr der Junge auch
    grübelte: Keine Wette schien den teuflischen Fähigkeiten des Barons gewachsen zu sein. Gesetzt, er wettete, daß eine Haselnuß größer sei als eine Kokosnuß: Wer würde auf eine so blödsinnige Wette
    eingehen? Und wer weiß, vielleicht würde Lefuet einen Landstrich
    aufstöbern, in dem die Haselnüsse tatsächlich größer wären als die Kokosnüsse. Timm verwarf die Wette wieder wie viele andere in
    dieser Nacht. Das Erlebnis mit Herrn Rickert in der Straßenbahn fiel dem Jungen immer wieder zur rechten Zeit ein.
    Aber wie wär’s, dachte er plötzlich, wenn man keine zerrissene
    Oberleitung vorschieben kann? Wie, wenn so ein handfestes,
    eisernes Möbel wie die Straßenbahn plötzlich die Schienen verlassen und fliegen muß? Eine Straßenbahn ist keine Lerche. Und ein
    Zauberer, trotz all seiner unheimlichen Fähigkeiten, ist auch Lefuet nicht!
    Timm glaubte, die Achillesferse des Barons entdeckt zu haben. Er
    richtete sich auf den Ellenbogen auf und rief: „Steuermann, wissen Sie schon, daß es in Genua fliegende Straßenbahnen gibt?“
    „Leg dich hin und schlaf!“ sagte Jonny ohne besondere
    Überraschung. „Du phantasierst schon wieder.“
    „Entschuldigen Sie, Steuermann, aber diesmal bin ich hellwach.
    Ich weiß ganz bestimmt, daß es

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