Timm Thaler
du öfter solch merkwürdiges Wettglück?“
„Ich habe noch nie eine Wette verloren“, antwortete Timm
gleichgültig. „Ich gewinne jede.“
Der Steuermann warf ihm einen kurzen Blick zu. „Spiel dich
nicht auf, Junge! Es gibt Wetten, die kann man einfach nicht
gewinnen.“
„Zum Beispiel welche?“ fragte Timm gespannt. „Nennen Sie mir
eine solche Wette!“
Wieder ein kurzer forschender Blick des Steuermanns. An dem
Jungen war ihm irgend etwas nicht geheuer. Aber er war gewohnt,
auf Fragen Antwort zu geben. So schob er seine weiße Mütze in die Stirn und kratzte sich am Hinterkopf. Wieder flog etwas Hartes ans Fenster. Jonny drehte den Kopf, sah aber nichts. Und plötzlich fiel ihm eine Antwort ein.
„Ich wüßte eine Wette, die du unmöglich gewinnen kannst,
Timm.“
„Auf diese Wette gehe ich ein, ehe ich sie gehört habe,
Steuermann. Wenn ich sie verliere, können Sie Ihre Flasche Rum
behalten!“
„Du willst die Katze im Sack kaufen, Junge? Meinetwegen. Rum
ist Rum, und wenn du unbedingt verlieren willst: Bitte schön! Wette also mit mir…“
Der Steuermann unterbrach sich, sah den Jungen an und fragte:
„Du schließt diese Wette bestimmt mit mir ab? Ich frage nur wegen der Flasche Rum.“
„Ich gehe auf diese Wette ein!“ sagte Timm so bestimmt, daß
Jonny beruhigt war.
„Also dann wette mit mir, daß du noch heute abend reicher sein
wirst als der reichste Mann der Welt.“
„Reicher als Lefuet also?“ fragte Timm fast atemlos.
„Genau das!“
Da streckte der Junge die Rechte schneller vor, als Jonny erwartet hatte. Dies war die unmögliche Wette. Die Wette, die er verlieren mußte. Mit lauter Stimme sagte Timm: „Ich wette mit Ihnen um eine Flasche Rum, daß ich noch heute abend reicher sein werde als der
Baron Lefuet.“
„Junge, du bist plemplem“, sagte Jonny und ließ Timms Hand los.
„Aber ich habe wenigstens meine Flasche Rum zurück.“
In diesem Augenblick kam der Kapitän ins Steuerhaus.
„Was macht denn der Moses hier?“ fragte er mürrisch.
„Er soll mir eine Tasse Kaffee bringen, Käptn!“ sagte Jonny.
„Dann soll er sich gefälligst tummeln!“ Timm mußte
hinunterspringen in die Kombüse. Er hätte dabei singen mögen. Aber wer nicht lachen kann, kann auch nicht singen.
Als er die Kaffeetasse, die nur an zwei Stellen ein bißchen
übergeschwappt war, in das Steuerhaus brachte, stand der Kapitän
immer noch dort. Jonny kniff hinter dem Rücken des Alten grinsend ein Auge zu. Timm tat das gleiche, aber mit ernster Miene. Dann
sprang er hinunter aufs Oberdeck. Am liebsten hätte er laut gelacht.
Aber sein Mund formte nur die Grimasse des Lachens. Kein
munterer Gluckser kam aus dem Bauch herauf.
Eine kleine ältere Holländerin, die dem Jungen auf Deck
entgegenkam, war erschrocken über den wilden Ausdruck seines
Gesichts. Sie sagte später zu ihrer Kabinennachbarin: „In diesem
Knaben steckt der Teufel. Schließen Sie nachts Ihre Kabinentür zu.“
Timm verkroch sich in seiner Aufregung hinter der Ankerwinde
am Heck, hockte sich auf einen Haufen eingerollter Taue und war
entschlossen, hier bis zur Ankunft in Genua sitzen zu bleiben. Er hatte gehört, daß es in Genua ein berühmtes Marionettentheater
gäbe. Dorthin wollte er gehen, um zwischen lachenden Leuten ein
lachender Junge zu sein. Noch schöner aber war die Vorstellung, in den Straßen spazierenzugehen und irgendeinem netten unbekannten
Menschen zuzulächeln, einem kleinen Mädchen oder einer alten
Frau. Timm verkroch sich förmlich in diese Vorstellung einer Welt voll Sonne und Freundlichkeit. Daß ihm hierbei vom blauen Himmel
herab die Sonne ins Gesicht brannte, machte die Träume nur noch
faßbarer und wahrscheinlicher.
Durch das Bordmikrophon kam mit scheppernder Stimme eine
Durchsage, auf die Timm nicht achtete. Er träumte.
Nach kurzer Zeit wurde die Durchsage wiederholt. Bei der
Nennung seines Namens horchte Timm auf und bekam so den
Schluß der Durchsage noch mit:
„… Thaler sofort zum Kapitän ins Steuerhaus!“
Wie Seifenblasen zerplatzten die Träume. Plötzlich erschien ihm
die Sonne beinahe düster in ihrer heißen Heftigkeit. Der Kapitän
hatte sich in seiner mürrischen Gleichgültigkeit noch nie um Timm gekümmert. Es mußte also ein außergewöhnlicher Anlaß sein, der
ihn nach dem Jungen rufen ließ.
Timm hinter der Ankerwinde erhob sich, tappte über das Deck
und stieg zum drittenmal an diesem Morgen über die
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