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Timm Thaler

Timm Thaler

Titel: Timm Thaler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Krüss
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unten.
    Timm, der sich vor Spinnen ekelte und den die geheimnisvolle
    Formel überdies in gereizte Stimmung versetzt hatte, faßte den
    Seidenpantoffel, mit dem seine herunterhängende Hand gespielt
    hatte, und schleuderte ihn wütend gegen die Spinne.
    Gerade fuhr der Baron fort: „Baryolas Lagoz atha cabyolas…“
    Da knirschte es an der Decke, und dann krachte, schepperte,
    klirrte zu Füßen der Chaiselongue der gewaltige Kronleuchter mit
    seiner Last gläserner Tropfen zu Boden.
    Timm hatte erschrocken die Beine angezogen. Der Baron stand
    mit offenem Mund und immer noch erhobenen Armen hinter der
    Lehne des Elfenbeinsessels und hatte eine Beule auf der Stirn.
    Scheinbar war ihm ein Stück Kronleuchter an den Kopf geflogen.
    Es war jetzt unwahrscheinlich still im Salon. Aber der
    ohrenbetäubende Lärm mußte im Hotel gehört worden sein; denn
    jemand klopfte energisch an die Tür.
    Da endlich ließ der Baron die Arme sinken. Er ging leicht
    vornübergebeugt, als sei er sehr erschöpft, an die Tür, öffnete sie um einen Spalt und sagte ein paar Worte auf italienisch, die Timm nicht verstand. Dann drückte er die Tür wieder zu, lehnte sich von innen gegen sie und sagte: „Es ist sinnlos. Gegen die Unschuld ist kein Kraut gewachsen.“
    Der Junge auf der Chaiselongue, der diese Bemerkung ebenso
    wenig verstand wie die unverständliche Beschwörungsformel, erhob
    sich jetzt und fragte: „Was ist sinnlos?“
    „Das Mittelalter!“ erwiderte der Baron scheinbar
    zusammenhanglos, und Timm war so schlau wie zuvor. Er fragte
    deshalb nicht weiter, sondern sagte: „Ich bitte um Entschuldigung wegen des Kronleuchters. Ich wollte nur eine Spinne treffen.“
    „Die kleine Nebensache bezahlen wir mit der Hotelrechnung“,
    murmelte der Baron.
    „Wieso wir?“ sagte der Junge. Ihm fiel mit einem Male sein
    ungeheurer Reichtum ein. Deshalb fügte er hinzu: „Den
    Kronleuchter bezahle ich, Baron!“
    „Das ist nicht gut möglich“, sagte Lefuet. (Plötzlich kam wieder
    der belustigte Zug in seine Mundwinkel.) „Da du noch nicht mündig bist, mein Lieber, darfst du keine Mark ausgeben ohne die
    Zustimmung deines Vormunds, des Barons Leo Lefuet.“ Grinsend
    verbeugte er sich. „Aber natürlich erhältst du Taschengeld!“
    Timm in seiner Schifferkluft verbeugte sich ebenfalls und sagte:
    „Auch Sie haben außerordentlich kluge Einfälle, Baron. Erlauben
    Sie, daß ich mich jetzt umkleide. Ich wünsche allein zu sein.“
    Lefuet starrte den Jungen zuerst sprachlos an. Dann lachte er
    hellauf. Immer noch lachend, rief er: „In Ihnen steckt mehr, als ich vermutet habe, Timm Thaler. Meine Hochachtung!“
    Jetzt erst bemerkte er, daß Timm unter dem Lachen bleich
    geworden war.
    Das heitere Kullern, mit dem er andere Leute wie mit einem
    Lasso an sich zog, verfing bei diesem Jungen nicht; es konnte bei ihm nicht verfangen. Es war ja sein eigenes, Timms Lachen.
    Lefuet drehte sich rasch zur Tür um. Aber bevor er ging, wischte
    er mit dem Ärmel seiner Jacke über die blankpolierte Platte eines Schreibtischchens unmittelbar neben dem Eingang und schob mit
    einem Seitenblick auf Timm eine lederne Schreibmappe in die Mitte der Platte.
    Dann erst öffnete er die Tür und sagte dabei über die Schulter:
    „Stets zu Ihren Diensten, Herr Thaler. Den Kammerdiener werde ich rufen. Es ist ein mir ergebener Mann aus Mesopotamien.“
    „Danke“, sagte Timm. „Ich habe gelernt, mich allein
    anzukleiden.“
    „Noch besser“, grinste Lefuet. „Dann sparen wir Geld.“ Er ging
    endlich und schloß leise die Tür hinter sich.
    Auf dem Etagenflur blieb der Baron eine Weile nachdenklich
    stehen. „Der Bursche will sein Lachen wiederhaben“, murmelte er.
    „Er verachtet die Macht, die das Dunkel spendet. Oder sie ist ihm gleichgültig. Er will Licht, und Licht…“ (der Baron ging langsam zu seinem Appartement) „… Licht wird durch Spiegel gebrochen.
    Damit muß ich’s versuchen.“
    Als Lefuet sein Appartement betreten hatte, sank er wieder einmal in einen Sessel. Über ihm hing ein ähnlicher Kronleuchter wie der aus dem Salon von Timms Appartement. Der Blick des Barons fiel
    auf die leicht schwankenden gläsernen Tropfen, Timms Wurf mit
    dem Pantoffel kam ihm ins Gedächtnis, und plötzlich lachte Lefuet.
    Er lachte so sehr, daß der Sessel unter ihm von der Erschütterung des Körpers zu knirschen begann.
    Der Baron lachte wie ein kleiner Junge. Das kullerte aus dem
    Bauch herauf wie Luftperlen in einem Sektglas. Und

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