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Timm Thaler

Timm Thaler

Titel: Timm Thaler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Krüss
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Direktor
    mehr symbolisch als praktisch gestützt, verließ Timm als erster die Barkasse. Man behandelte ihn, als sei er ein sehr alter kranker Herr.
    Oben auf der Mole verdeckte eine Reihe dunkel gekleideter
    Herren ihm die Sicht auf die Stadt Genua. Direktor Grandizzi stellte sie ihm der Reihe nach vor. Sie hatten alle Namen, die auf izzi oder ozzi endeten und die Timm sofort wieder vergaß.
    Das Merkwürdigste an allem war, daß das feierliche Murmeln
    und Vorstellen einem vierzehnjährigen Jungen galt, der die schwarzweiß karierte, an den Knien ausgebeulte Hose der Köche und den
    etwas zu großen Rollkragenpullover Jonnys trug. Es war,
    genaugenommen, ein Bild zum Schief-und-Krumm-Lachen. Aber
    alles blieb todernst. Und vielleicht war das gut für den armen Timm.
    Auch das Folgende ging mit Ernst und gezirkelter Würde vor
    sich: Ein schwarzes Auto mit sechs Türen fuhr vor, der Chauffeur riß erst für Timm und dann für Direktor Grandizzi die Türen auf, man
    setzte sich in die roten Lederpolster, der Wagen fuhr an, und die ganze Reihe wohlgekleideter Herren hob die rechte Hand und winkte ihnen gemessen nach.
    Erst während der Fahrt fiel Timm der Seesack des Herrn Rickert
    ein, den er mit all seinen Sachen auf dem Dampfer vergessen hatte.
    Als er dem Direktor davon erzählte, lächelte Grandizzi: „Natiirlik wir kennen holen die private Sache von der Dampfer, signore. Aber die Herr Baron haben bereits für einer eleganten Garderobe gesorkt.“
    „Der Baron?“ fragte Timm verdutzt.
    „Die neue Herr Baron, signore!“
    „Ach so!“ Timm lehnte sich ins Polster zurück und sah durch das
    Fenster zum erstenmal ein Stück von Genua: ein Marmorportal und
    ein Messingschild, auf dem „Hotel Palmarostand. Dann glitt der
    Fächer einer brusthohen Palme vorbei, dann eine runde
    Blumenrabatte mit einem Lavendel“ Strauch in der Mitte. Und dann
    hielt der Wagen sehr sanft. Der Schlag wurde aufgerissen, und ein uniformierter Portier mit Goldschnüren nahm Timms Arm und
    komplimentierte ihn wieder so behutsam ins Freie wie einen alten
    Mann.
    Timm stand vor einer Freitreppe aus Marmor, von deren oberster
    Stufe jemand „willkommen“ rief. Es war ein Herr in einem karierten Anzug, der eine riesige Sonnenbrille trug.
    „Der neie Herr Baron, die Zwillingsbruder“, flüsterte Grandizzi
    dem Jungen ins Ohr. Aber Timm glaubte nicht so recht an den
    Zwillingsbruder. Und als der neue Baron die Freitreppe herunterkam und lachend ausrief: „Was für ein reizendes Räuberzivil!“, da wußte Timm mehr als der Direktor. Er hatte den Mann an seinem eigenen
    Lachen erkannt. Es gab gar keinen Zwillingsbruder.
    Der Baron lebte. Und mit ihm lebte Timms Lachen.

    Sechzehnter Bogen

    Das Ende eines Kronleuchters

    In seinem prachtvollen Hotelzimmer, oder besser: in einer Flucht
    von drei Zimmern, die man Appartement nennt, war Timm nach all
    den Aufregungen zum erstenmal allein. Der Baron war zu einer
    Besprechung fortgefahren und hatte erklärt, daß er Timm wieder
    abholen werde.
    Der Junge, der noch immer die karierte Hose und den zu weiten
    Pullover trug, lag halbaufgerichtet auf einer Chaiselongue. Rücken und Kopf ruhten auf einem Berg gestreift ter Seidenkissen. Die Füße baumelten über den Rand der Liege. Timm starrte auf einen
    Kronleuchter, der einem Gebilde aus gläsernen Tränen glich.
    Seit langer Zeit fühlte der Junge sich zum ersten Male wieder
    beinahe wohl. Es lag nicht an der wunderlichen Verwandlung, die
    der plötzliche Reichtum gebracht hatte; denn davon hatte Timm noch gar keinen rechten Begriff: Es lag daran, daß er sein Lachen lebendig wußte. Auch war ihm nach all der Verwirrung eines klar: Der Baron war jetzt sein Vormund, und das hieß, er war an Timm gebunden.
    Auf der Jagd nach seinem Lachen hatte Timm das Wild vor der
    Nase. Jetzt galt es, die verwundbare Stelle zu finden. (Timm wußte noch nicht, daß man eine schwierige Lage aus der Ferne besser
    übersieht als aus der Nähe.)
    Es klopfte, und ohne Timms Aufforderung abzuwarten, trat der
    Baron ein.
    „Bleib ruhig liegen“, sagte Lefuet beim Eintritt. Dann knickte der hagere Mann wie ein Taschenmesser ein und fiel auf einen kostbaren Stuhl mit elfenbeinernen Einlegearbeiten. Er schlug die Beine
    übereinander und sah Timm belustigt an.
    „Die letzte Wette war ein außerordentlicher Einfall, Timm Thaler!
    Respekt, mein Junge!“
    Timm sah den Baron von unten herauf an und schwieg Lefuet
    schien auch darüber belustigt zu sein. Er fragte:

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