Timm Thaler
immer wieder –
ein melodischer Akzent – setzte sich ein Schlucker darauf. Es ging die Tonleiter hinauf – ein Schlucker – erneuter Ansatz vom tiefsten Ton – und wieder die Leiter der Töne hinauf bis zu einem neuen
Schlucker.
Nun war der Baron ein Mann, der sich niemals auch nur der
kleinsten Gefühlsregung in heiterer Bedenkenlosigkeit überließ. Ihm fehlte das Talent zum Glücklichsein. Er mußte alles erklären und in seine Teile zerlegen, sogar seine Gefühle.
Auch diesmal, als der letzte lachende Schlucker verklungen war,
überlegte sich der Baron, warum er gelacht habe. Und er stellte mit Überraschung fest, daß er über sich selbst gelacht hatte, über seinen mißglückten Versuch, Timm Thaler mit dem Hokuspokus der
Schwarzen Magie zu imponieren.
Der Versuch war mißglückt; Lefuet war der Unterlegene
gewesen, und trotzdem hatte er gelacht. Das war eine neue unerhörte Erfahrung für den Baron.
Er erhob sich aus dem Sessel und führte – auf- und abgehend –
ein Selbstgespräch.
„Merkwürdige Sache“, brummelte er vor sich hin. „Ich habe das
Lachen gekauft, um Macht über Herzen zu bekommen. Und nun…“
(er blieb verdutzt stehen) „… nun habe ich Macht über mich selbst bekommen, Macht über meine Launen, meine fürchterlichen Launen.
Ich habe sie nicht mehr: Ich lache sie fort!“
Er ging wieder auf und ab.
„Früher hätte ich getobt, wenn ich bei einer Machtprobe der
Unterlegene gewesen wäre. Ich hätte einen Teppich zerbissen vor
Wut. Jetzt bleibe ich sogar als Verlierer überlegen: Ich lache!“
Der Baron faßte sich – er sah beinahe glücklich aus – an den Kopf und rief: „Das ist ja unwahrscheinlich! All meine Überlegenheit habe ich durch Arglist und Tücke, durch Siege über andere stützen
müssen. Jetzt fliegt mir das von selber zu, weil mir ein Kullern im Bauch zur Verfügung steht. Das Lachen ist ja mehr wert, als ich
ahnte. Das muß man ja mit einem Königreich bezahlen!“
Abermals nahm ein Sessel den hageren Mann auf, dessen Gesicht
für einen Augenblick die Züge des karierten Herrn vom Rennplatz
annahm, die Züge der Verschlagenheit.
„Jage du nur deinem Lachen nach, Timm Thaler; du bekommst es
nicht zurück! Das halte ich fest mit Zähnen und Klauen!“
Siebzehnter Bogen
Der reiche Erbe
Die Uniform junger reicher Erben sah zu Timms Zeit
folgendermaßen aus: Graue Flanellhosen, ein rot-schwarzgestreiftes Jackett, ein blütenweißes Seidenhemd, eine rote Krawatte mit
schottischem Muster, ebensolche Socken und braune
Wildlederschuhe.
Timm stand in diesem Aufzug vor einem Spiegel, der bis auf den
Boden reichte, und kämmte sich zum erstenmal in seinem Leben die
Haare feucht. Auf dem Teppich zu seinen Füßen lag aufgeschlagen
eine illustrierte Zeitung mit dem Photo eines Tennisspielers. Timm legte seine Haare ebenso wie der Tennisspieler. Es gelang ihm
leidlich.
Eine Weile betrachtete der Junge sich im Spiegel und zog
versuchsweise seine beiden Mundwinkel nach oben. Aber es sah
nicht einmal nach der Andeutung eines Lachens aus.
Traurig wandte er sich ab und wanderte ziellos in den drei
Räumen seines Appartements herum. Er probierte lustlos einen
Schaukelstuhl aus, er betrachtete die Gemälde an den Wänden –
lauter Schiffe auf hoher See – er hob den Hörer des
elfenbeinfarbenen Telefons ab, legte ihn aber gleich wieder in die Gabel, und schließlich öffnete er die schnörkelig verzierte
Ledermappe, die der Baron mitten auf die polierte Platte des
Schreibtisches geschoben hatte.
Es war Briefpapier darin. In der linken oberen Ecke der Bogen
stand in grauen geraden Druckbuchstaben:
timm thaler
eigentümer der baron-lefuet-gesellschaft
Rechts stand:
genua, den….
In einer seidenen Seitentasche der Mappe lagen Briefumschlage.
Timm nahm einen heraus und las auf der Rückseite:
timm thaler, genova, italia, hotel palmaro
Der Junge ließ sich in dem Sessel vor dem Schreibtisch nieder,
schraubte den Füllfederhalter auf, der neben der Mappe gelegen
hatte, und beschloß, einen Brief zu schreiben.
Als er die Mappe zurückschob und einen der Bogen vom Stoß
nahm, sah er in der Politur der Tischplatte den Briefkopf in
Spiegelschrift:
relaht mmit
tfahcslleseg-teufel-norab red remütnegei
Dabei sprang ihm ein Wort in die Augen:
teufel
„Sieht aus, als ob dort Teufel stünde“, dachte Timm. „Aber“,
fügte er in Gedanken hinzu, „wenn man vom Teufel gesprochen hat,
sieht man ihn
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