Timm Thaler
überall, und wenn es nur sein Name ist!“
Er schob sich den Bogen zurecht und begann einen Brief zu
schreiben:
Lieber Herr Rickert,
ich bin in Genua nicht gut angekommen. Der Baron ist gestorben und ich bin sein Erbe. Aber das wollte ich eigentlich gar nicht. Eher noch das Gegenteil, aber das kann ich Ihnen leider nicht erklären.
Vielleicht später. Bitte versuchen Sie mit dem Stjuard in Verbindung zu kommen, er heißt Kreschimir und hat eine Blinddarm
Entzündung. Kreschimir darf Ihnen alles erzählen, ich nicht, leider!
Sprechen Sie auch mit dem Steuermann vom Delfin, er heißt Jonny und kommt aus Hamburg. Der weiß wie es zuging.
Jetzt bin ich der reichste Mensch der Welt und der sogenannte neue Baron ist mein Vormund. Schön ist das nicht aber vielleicht nützlich. Dem Baron lasse ich nicht merken, daß ich das alles gar nicht will.
Sie und Ihre Mutter und der Stjuard und Jonny waren sehr gut zu mir.
Vielleicht finden Sie einen Ausweg für mich. Aber ich muß mir wohl alleine helfen. Und es ist wohl auch gut, das ich einen Plan und ein Ziehl habe, um zu vergessen, das ich gar kein richtiger Mensch mehr bin.
Grüssen Sie bitte Ihre liebe Mutter und es dankt Ihnen sehr Ihr trauriger Timm Thaler.
N.S.: Aber schreiben Sie mir nicht. Vielleicht finde ich später eine Geheim-Adresse. Timm.
Der Junge las den Brief noch einmal durch, faltete ihn und steckte ihn in den Umschlag, den er zuklebte. Aber gerade, als er den Brief adressieren wollte, hörte er auf dem Flur Schritte näher kommen.
Rasch steckte er den Brief in die Brusttasche des Jacketts. Gleich darauf klopfte es, und wieder kam der Baron ohne Aufforderung
herein.
Er sah den aufgeschraubten Füllfederhalter neben der
aufgeschlagenen Mappe und fragte: „Privatbriefe, Herr Thaler?
Damit sollten Sie vorsichtig sein. Übrigens steht Ihnen ein Sekretär zur Verfügung.“
Timm schloß die Mappe, schraubte den Füllfederhalter zu und
sagte: „Wenn ich den Sekretär brauche, werde ich ihn rufen.“
„Gut gebrüllt, Löwe!“ lachte Lefuet. „Sie scheinen mit der neuen
Kleidung neue Sitten angezogen zu haben. Das lob’ ich mir!“
Es klopfte wieder an die Tür. Lefuet rief unwillig: „Che cosa
vole?“
„La garderoba per il signore Thaler!“ rief es hinter der Tür.
„Avanti!“ knurrte Lefuet.
Ein Hausdiener mit einer langen grünen Schürze trug dienernd
Timms Seesack herein, legte ihn auf das Gestell für die Koffer und blieb neben der Tür stehen.
Timm trat auf ihn zu, hielt ihm die Hand hin und sagte: „Recht
herzlichen Dank!“
Linkisch, verwundert und anscheinend unzufrieden, ergriff der
Hausdiener die Hand.
„Non capisco“, murmelte er.
„Er versteht nicht“, lachte der Baron. „Aber das hier versteht er sicher!“ Dabei zog Lefuet ein Bündel Lire-Scheine aus der Tasche
und gab dem Hausdiener einen davon.
Der Mann strahlte, rief: „Grazie! Mille grazie! Tante grazie,
signore Barone!“ und verschwand dienernd und im Rückwärtsgang.
Lefuet schloß die Tür hinter ihm und sagte: „Wenn in früheren
Zeiten ein Knecht die Räume seines Herrn betrat, zog er zuvor die Schuhe aus, rutschte auf den Knien heran und küßte seinem Herrn
die Stiefelspitzen. Diese gesegneten Zeiten sind bedauerlicherweise vorbei.“
Timm achtete nicht auf die Worte des Barons. Siedendheiß war
ihm eingefallen, daß im Seesack seine Mütze stecken mußte und im
Futter der Mütze der Vertrag mit Lefuet. Er trat wie zufällig zum Seesack, nestelte ihn auf und fand obenauf die Mütze liegen. Als er sie in die Hand nahm, knisterte es unter dem Futter. Erleichtert
atmete der Junge auf. Während er das verhängnisvolle Papier
möglichst unauffällig aus dem Futter zog und in die Brusttasche des Jacketts schob, hörte er dem Baron wieder zu.
„In einem Hotel wie diesem“, sagte der, „genügt es, wenn wir drei Leuten die Hand geben: erstens dem Chefportier, denn der muß uns
zu jeder Zeit verleugnen können; zweitens dem Direktor, denn wir
müssen uns seine Verschwiegenheit sichern; drittens dem Chefkoch, denn der muß unsere Geschäftspartner verwöhnen.“
„Ich will mir’s merken!“ sagte Timm. Bei sich dachte er: „Wenn
ich erst wieder lachen kann, wird es mir ein Vergnügen sein,
Hausdienern und Zimmermädchen die Hand zu geben.“
Das Telefon läutete. Der Junge nahm den Hörer ab und sagte:
„Hier Timm Thaler.“
„Ihr Wagen ist vorgefahren, signore!“ tönte es aus dem Hörer.
„Schönsten Dank!“
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