Timm Thaler
stummes
Interesse.“
Timm nickte, ernst und stumm.
Aber als sie – ständig von dem Schwärm der Direktoren umgeben
– die Bildergalerie abschritten, hielt Timm sich keineswegs an
Lefuets Weisung. Die Bilder, vor denen Lefuet hustete, verließ er meistens ziemlich schnell. Bei anderen hingegen, vor denen Lefuet nicht hustete, hielt Timm sich sehr viel länger auf.
Das Museum enthielt hauptsächlich Porträts, gemaite Gesichter.
Diejenigen der holländischen Maler hatten eine durchscheinende
Haut (manchmal sah man sogar blaue Adern durchschimmern) und
einen gesammelten Ausdruck bei schmallippigen Mündern. Die
Porträts der italienischen Maler zeigten eine bräunliche, deckende Hautfarbe, eine schöne glatte Oberfläche, und Kringel in den
Mundwinkeln, die ein Lächeln auf das Gesicht zauberten.
Anscheinend waren die holländischen Gesichter berühmter, denn
meistens hustete der Baron vor denen; aber Timm hatten es die
anderen Gesichter angetan, die weniger verschlossenen, offenen
Mienen mit dem Zwinkern in den Mundwinkeln. Er mußte
manchmal von dem Baron geradezu gestoßen werden, um ein
solches Bild zu verlassen. Denizzi- und -ozzi-Direktoren fanden den Geschmack des Jungen nicht schlecht. Als Lefuet es bemerkte, brach er die Besichtigung kurzerhand ab und sagte: „Wenden wir uns dem
Hauptteil dieser Veranstaltung zu, meine Herren!“
Man begab sich nun in einen Saal, in dem Tische in Hufeisenform
zusammengestellt und festlich gedeckt waren. Am Kopfende war ein
Platz mit Lorbeerzweigen geschmückt. Dort sollte Timm sitzen.
Aber bevor man Platz nahm, erschien ein Photograph, ein
schmächtiges quicklebendiges Männchen mit viel zu langem
schwarzem Haar, das ihm ständig in die Augen fiel und das er dann mit einer herrischen Kopfbewegung zurückschleuderte. Er bat die
Anwesenden, sich in einem Halbkreis um Timm zu gruppieren. (Zu
den Direktoren war eine große Anzahl anderer Leute gekommen,
denen Timm aber nicht die Hand schütteln mußte.)
Das photographische Männlein hatte seinen Apparat auf ein Stativ
geschraubt, blickte durch den Sucher, dirigierte die Gesellschaft mit wildem Armefuchteln und schrie dazu fortwährend: „Ridere!
Sorridere! Sorridere, prego!“
Timm, der vor Grandizzi stand, fragte den Direktor über die
Schulter: „Was sagt er?“
„Er sagt, du sollst… Verzeihung, Sie sollen… Also, er sagt: Wir
sollen laken!“
„Danke!“ sagte der Junge. Er war ungewöhnlich blaß. Der
Photograph wandte sich jetzt direkt an ihn und wiederholte:
„Sorridere, signore! Läkeln, bitte!“ Nun starrte alles auf den Jungen, der die Lippen zusammengepreßt hatte. Der Photograph wiederholte
verzweifelt: „Läkeln, biite sarr!“ Der Baron, der noch hinter
Grandizzi stand, sprang Timm mit keinem helfenden Wort bei.
Da sagte der Junge: „Mein Erbe ist eine schwere Bürde, Herr
Photograph. Ich weiß noch nicht, ob ich darüber lachen oder weinen soll. Erlauben Sie mir, das Lachen oder Weinen abzuwarten.“
Durch den Halbkreis, der ihn umgab, lief ein Flüstern. Teils
übersetzte man die Worte leise, teils sprach man bewundernd oder
verwundert über Timm. Nur Lefuet zeigte eine belustigte Miene.
Die Aufnahme kam jetzt jedenfalls zustande, und zwar ohne
lächelnden Erben. Dann setzte man sich an den Tisch. Timm wurde
von Grandizzi und dem Baron flankiert. Grandizzis
Spitzentaschentuch strömte immer noch Nelkenduft aus. Es roch wie süßer Pfeffer.
Vor dem Essen wurden mehrere Reden gehalten, einige in
Italienisch, einige in gebrochenem Deutsch. Und immer, wenn man
lachte, rückte oder applaudierte, blickten samtliehe Leute auf den Jungen am Kopf der Tafel.
Einmal flüsterte der Baron ihm zu: „Sie haben sich mit Ihrer
übereilten Wette kein leichtes Leben eingehandelt, Herr Thaler.“
Timm flüsterte zurück: „Ich wußte, was mich erwartet, Baron.“
(In Wirklichkeit war ihm nie schrecklicher zumute gewesen als hier zu Häupten der Tafel, wo man ihn anstarrte wie ein exotisches Tier.
Aber der feste Vorsatz, sich dem Baron gewachsen zu zeigen, stärkte ihn und hielt ihn aufrecht.)
Einen kurzen Augenblick lang dachte Timm an Jonny, den
Steuermann. Da war er plötzlich wieder der kleine Junge, der am
liebsten geheult hätte. Aber zum Glück begann genau in diesem
Augenblick die Rede Lefuets, und Timm hatte sich wieder in der
Gewalt.
Der Baron rühmte zuerst die Fähigkeiten seines angeblieh
verstorbenen Bruders, sprach dann von den hohen Aufgaben
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