Timm Thaler
auf ihre Weise ein Mosaik an. Es schien eine Art
Ikonengesicht zu werden, aber der Mund war ein nach oben
gebogener Halbkreis: Er lachte.
Doch gerade als das Mädchen bedächtig ein grünes Auge
einsetzte, kam ein Junge, blickte mit heruntergezogenen
Mundwinkeln auf das fast fertige Bild und fuhr mit der Schuhspitze hinein. Das Gesicht war zerstört, das Mädchen sah erschrocken den barbarischen Jungen an, und plötzlich sprangen dicke Tränen aus
ihren Augen. Dann las sie schluchzend und demütig die Steinchen
wieder zusammen. Der Junge stand mit den Händen in den
Hosentaschen daneben, männliche Verachtung im Blick.
Timm war wütend über den Knaben. Er wollte hinunterlaufen und
dem Mädchen beistehen. Aber als er sich heftig umwandte, stellte
sich der Baron vor ihn, der die Szene offenbar ebenfalls beobachtet hatte.
„Mischen Sie sich nicht ein, Herr Thaler“, sagte er lächelnd. „Es ist gewiß bedauerlich, was dieser Knabe getan hat. Aber so geht es in der Welt. Mit derselben Barbarei wie dieser Junge zertrampeln rohe Soldatenstiefel die wohlausgewogenen Werke eines feinen Kunst
Verstandes; aber wenn der Krieg vorbei ist, genehmigen dieselben
Barbaren mit heruntergezogenen Mundwinkeln Zuschüsse für die
Wiederherstellung des Zerstörten. Und daran verdienen wir. Unsere Firma hat nach dem Krieg in Mazedonien mehr als dreißig Kirchen
restauriert. Unser Verdienst belief sich auf etwas über eine Million Drachmen.“
Timm murmelte, als ob er einen eingelernten Satz plappere: „Ich
will mir’s merken, Baron. Aber jetzt“, fügte er hinzu, „möchte ich essen gehen.“
„Ein ausgezeichneter Gedanke“, lachte Lefuet. „Ich kenne ein
vorzügliches Gartenrestaurant.“
Ohne die Bilder an den Wänden oder die Kinder auf dem
Vorplatz noch eines Blickes zu würdigen, schritt der Baron zu
seinem Auto vor dem Tor des Museums. Timm ging stumm neben
ihm her.
Im Gartenrestaurant, das zu Timms Erstaunen gar nicht so fein
war, wie Lefuet es sonst liebte, wurden sie vom Besitzer, vom
Direktor und vom Oberkellner begrüßt. Der Baron sprach
Griechisch, aber mit Timm redete er Deutsch. Man geleitete sie an einen Ecktisch, legte ein blütenweißes Tischtuch für sie auf, stellte Blumen darauf und holte aus dem Hause ein kleineres Tischchen
zum Anrichten. Alle Gäste im Restaurant verfolgten diese
Vorbereitungen mit gespannter Aufmerksamkeit. Manche tuschelten
miteinander und zeigten dabei verstohlen auf Timm.
„Steht mein Bild hier etwa auch in den Zeitungen?“ fragte Timm
flüsternd.
„Selbstverständlich“, erwiderte der Baron unbekümmert laut. „In
Griechenland, Herr Thaler, bewundert man nichts so sehr wie
Reichtum; denn es ist ein armes Land. Für unsereins ist
Griechenland ein Paradies. Selbst dieses mittelgute Lokal wird uns ein Mittagessen servieren, das man bedenkenlos einem König
vorsetzen könnte. Man erweist dem Reichtum majestätische Ehren.
Deshalb liebe ich Griechenland so sehr.“
Lefuet hätte zu Timms Unbehagen sicher noch länger in diesem
Tone gesprochen, wenn nicht ein Kellner gekommen wäre, der ihm
etwas ins Ohr flüsterte.
„Ich werde am Telefon verlangt. Man kennt mein
Lieblingsrestaurant bereits“, sagte er zu Timm. „Entschuldigen Sie mich.“ Er stand auf und folgte dem Kellner ins Haus.
Timm beobachtete jetzt einen Tisch schräg vor sich, den einzigen
Tisch, von dem aus man nicht ständig auf ihn starrte. Er sah dort zwei Familien zu. Die eine bestand aus einer sehr fülligen
schwarzhaarigen Mama mit einem Schönheitsfleck auf der Wange
und zwei Töchtern, von denen die eine etwa fünf, die andere zwei
Jahre alt sein mochte. Die andere Familie, die neben dem Tisch unter einem Oleanderbusch tobte, bestand aus einer großen grauen
Katzenmama mit drei Kätzchen, zwei schwarzen und einer grauen.
Die griechische Mama war sehr nervös, und die Katzenmama war
es auch. Als das kleinere griechische Töchterchen in ein Blumenbeet fiel, sich beschmutzte und Blätter aß, bekam es böse Prügel von der Mama mit dem Schönheitsfleck. Sie schlug das Kind mit der flachen Hand immer wieder heftig auf Wangen, Mund und Nase. Die Kleine
heulte herzzerbrechend, und alsbald klatschte die volle flache Hand abermals in das tränennasse Kindergesichtchen.
Die Katzenmama benahm sich nicht anders. Immer, wenn ein
Kleines sich ihr näherte oder auf ihren Schwanz sprang, fauchte sie ärgerlich. Eines der schwarzen Kätzchen verfolgte sie mit
besonderem
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