Timm Thaler
Grimm. Als es greinend miaute, gab sie ihm einen
heftigen Pfotenschlag, wenn auch mit eingezogenen Krallen,
sozusagen mit der flachen Hand. Als das Kleine ihr trotzdem
näherzukommen versuchte, schlug die Pfote erneut zu.
Katzengreinen und Kinderweinen vermengten sich.
Timm wandte schließlich den Blick ab. Er konnte es nicht mehr
mit ansehen. Gerade in diesem Augenblick kam der Baron zurück.
Und wieder einmal schien er dasselbe wie Timm beobachtet und die
Gedanken des Jungen erraten zu haben. Während er sich setzte, sagte er: „Sie sehen, Herr Thaler, daß der Unterschied zwischen Menschen und Tieren nicht groß ist; er ist sozusagen kaum wahrnehmbar.“
„Ich habe über diesen Unterschied jetzt schon drei Meinungen
kennengelernt“, sagte Timm leicht verwirrt. „In einem Hamburger
Theater hieß es, das Lachen unterscheidet Mensch und Tier, und es war damit gemeint, daß nur der Mensch lachen kann; auf den Bildern im Museum war es aber umgekehrt, da lachten die Tiere und niemals ein Mensch; und Sie, Baron, erzählen mir jetzt, daß es überhaupt
keinen Unterschied gibt zwischen Mensch und Tier.“
„Nichts auf der Welt ist so einfach, daß man es mit einem Satz
erklären könnte“, antwortete Lefuet. „Und was das Lachen für den
Menschen bedeutet, das, mein lieber Herr Thaler, weiß überhaupt
niemand genau.“
Timm erinnerte sich plötzlich an eine Bemerkung Jonnys und
wiederholte sie halb für sich, aber laut genug, daß der Baron sie verstehen konnte: „Lachen ist Freiheit nach innen.“
Die Wirkung dieses Satzes auf Lefuet war merkwürdig: Er
stampfte mit dem Fuß auf und rief: „Das hat dir der Steuermann
gesagt!“
Timm sah ihn verwundert an, und plötzlich wußte dieser Junge
von vierzehn Jahren, dieses halbe Kind, warum der Baron ihm sein
Lachen abgekauft hatte und warum sich der düstere karierte Herr
vom Rennplatz so sehr von dem jetzigen Baron Lefuet unterschied.
Er war ein freierer Mann geworden; und es machte ihn wütend, daß
Timm das entdeckt hatte.
Übrigens hatte der Baron sich wie üblich sofort wieder in der
Gewalt, und mit glatter Liebenswürdigkeit wechselte er das Thema.
Er sagte: „Die Lage auf dem Buttermarkt, Herr Thaler, ist für uns gefährlich geworden. Ich muß mit den leitenden Herren unserer
Firma schon morgen Maßnahmen beraten. Solche Beratungen
pflegen auf meinem Schloß in Mesopotamien stattzufinden, und ich
erwarte, daß Sie mich dorthin begleiten. Was Sie in Athen noch
kennenlernen müssen, zeige ich Ihnen später einmal.“
„Wie Sie wünschen“, sagte Timm scheinbar gleichgültig. In
Wirklichkeit wünschte er nichts sehnlicher, als diesen
geheimnisvollen Ort kennenzulernen, an dem der Baron in seinem
Schlupfwinkel saß wie die Spinne im Beobachtungsposten ihres
Netzes.
Lefuet aber verließ Athen ungern. Als das Essen aufgetragen
wurde, seufzte er: „Für diesmal die letzte Mahlzeit in diesem
gesegneten Lande. Guten Appetit!“
DRITTES BUCH
Irrwege
Lachen ist keine Handelsware wie Margarine
Wer damit handelt, handelt irrig.
Selek Bei
Einundzwanzigster Bogen
Das Schloß in Mesopotamien
Timm saß zum zweitenmal in dem kleinen zweimotorigen
Privatflugzeug der Baron-Lefuet-Gesellschaft. Sie waren im
Morgengrauen gestartet, und der Junge konnte von seinem Fenster
aus Meer und Himmel kaum unterscheiden. Aber plötzlich sah er
schräg unter sich hinter einem kleinen dunklen Inselbuckel den
Sonnenball. Es war, als sei die Sonne aus dem Meer gehüpft, so
schnell war sie mit einem Male da.
„Wir fliegen ostwärts, der Sonne entgegen“, erklärte Lefuet. „In
Athen wird man noch eine Weile warten müssen, ehe sie aufgeht.
Meine Schloßbedienten beten die Sonne an. Esch Schems wird sie
genannt.“
„Ich dachte, Ihre Bedienten beten den Teufel an“, sagte Timm.
„Gewiß, sie verehren Scheitan als den Herrn der Welt, nicht aber
als den Herrn des Himmels.“
Der Junge wollte wieder „aha“ sagen, erinnerte sich aber daran,
daß er mit diesem gleichmütigen Wort schon einmal den Unwillen
des Barons erregt hatte. Deshalb sagte er gar nichts, sondern sah schweigend hinunter auf das Meer, dessen bleiernes Grau sich
ungewöhnlich rasch aufhellte, bis es zu einem gläsernen Grün
geworden war.
Timm fürchtete sich nicht in der Luft, aber er freute sich auch
nicht über den Flug. Er staunte nicht einmal. Wer nicht lachen kann, der kann auch nicht staunen.
Der Baron erklärte ihm jetzt „die Lage auf
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