Timm Thaler
es in Wahrheit um ihn stand.
Überdies hatte der Junge das seltsame Gefühl, daß bei diesem
verworrenen Spiel mit einer toten Ratte, einem ohnmächtigen
Steuermann und einem englischen Sprichwort nicht der Baron,
sondern Jonny der Gewinner war. Innerlieh ruhiger, als man hätte
vermuten können, verließ Timm die Kneipe mit den Flaschen an den
Wänden.
Das sechstürige Auto, das draußen stand, nahm fast die ganze
Breite der Gasse ein. Dahinter standen zwei andere Autos, und Timm sah zwei wohlbekannte Herren darin sitzen. In einer Anwandlung
von Übermut nickte er ihnen höflich zu, und die beiden nickten –
leicht verblüfft – wieder.
In den roten Lederpolstern des Rücksitzes saß Direktor Grandizzi.
Als Timm und der Baron sich neben ihm niederließen, rief er
kichernd: „Ah, die kleine Ausreißer! Sie habben uns särrr an Nase herumgefihrt, signore; aber meine kluge Freind Astaroth…“
„Schnauze, Behemoth! Diese Masche zieht bei ihm nicht!“ fuhr
der Baron den Direktor laut und ungewohnt grob an. Gleich darauf
aber wandte er sich liebenswürdig an Timm und erklärte dem
Jungen, daß Grandizzi und er Mitglieder des sogenannten Baalclubs seien und daß sie sich manchmal aus Ulk mit den Clubnamen
anredeten.
Timm war es, als habe er den Baron schon einmal von Astaroth
und Behemoth reden hören; aber er erinnerte sich nicht, wann und
wo das gewesen sein könnte. Außerdem wiederholte er in seinem
Gedächtnis ständig den englischen Spruch, den Jonny ihm gesagt
hatte.
Als das Auto am Denkmal des Christoph Columbus vorbeifuhr,
sagte Lefuet: „Wir fliegen morgen früh nach Athen, Herr Thaler. Das Flugzeug gehört der Gesellschaft. Ab acht Uhr steht es für uns
bereit.“
Timm nickte, ohne etwas zu erwidern. In Gedanken wiederholte
er wenigstens zum zehnten Male den englischen Spruch, und endlich fragte er Grandizzi: „Was heißt eigentlich: Tietschmilafter
sefmeisohl?“
„Was für eine Sprake iist das?“ erkundigte sich Grandizzi.
„Es ist englisch“, sagte mit ruhiger Stimme der Baron. „Ein altes Sprichwort und genauso dumm wie die meisten Sprichwörter.“
Er wiederholte den Satz in korrektem Englisch: „Teach me
laughter, save my soul.“ Dann übersetzte er ihn halblaut ins
Deutsche: „Lehre mich lachen, rette meine Seele.“
Timm sagte so kühl wie möglich: „Aha!“ Weiter nichts. Aber
heimlich prägte er sich den Satz ein und hängte ein beruhigendes
Wort an den Schluß: „Lehre mich lachen, rette meine Seele,
Steuermann!“
Zwanzigster Bogen
Klarheit in Athen
In Athen, der alten Hauptstadt Griechenlands, hatte die größte
Zweiggesellschaft der Baron-Lefuet-Gesellschaft ihren Sitz.
Vielleicht war der Baron hier deshalb so ungemein lebhaft und
liebenswürdig. Er verschonte Timm hier auch, so gut es ging, mit
Direktoren und Banketts. Stattdessen wanderte er mit dem Jungen zu Fuß durch die Straßen. Allerdings folgte ihnen in angemessener
Entfernung ein Auto, das auf einen Wink Lefuets jederzeit an den
Bordstein fahren konnte, um sie aufzunehmen.
Der Baron führte Timm nicht zu den Stätten, deretwegen die
meisten Fremden nach Athen kommen. Er erstieg mit ihm nicht die
Akropolis, zwischen deren Tempelsäulen man das heitere Blau des
Ägäischen Meeres leuchten sieht; er führte ihn nicht zu den
marmornen Statuen, die von den Grübchen im Knöchel bis zu den
Kringeln in den Mundwinkeln voll himmlischen Gelächters stecken;
er zeigte ihm nicht, wie hell der Himmel über weißen Tempeln
strahlt. Er führte ihn vielmehr zum Markt von Athen.
„Von dem Geld, das hier verdient wird, geht wenigstens die
Hälfte durch meine Hände“, sagte er. „Als mein Erbe, Herr Thaler, müssen Sie wissen, wo unser Reichtum gemacht wird. Ist es nicht
eine Lust, diese Farben zu sehen?“
Lefuet hatte Timm zuerst in die Straßen der Fische geführt.
Glotzäugig und zuweilen mit leuchtenden roten Streifen unter den
Kiemen, lagen die Fische zu Tausenden in großen offenen
Eisschränken. Der Reichtum des Meeres war üppig ausgebreitet. Da
glitzerte viel Silber und stählernes Blau, und dazwischen sah man Streifen und Flecken gellenden Rots und matten Schwarzes. Der
Baron sah dies; alles mit den Augen des Händlers an.
„Der Thunfisch kommt von den Türken“, erklärte er. „Wir kaufen
ihn billig ein. Der Stockfisch kommt aus Island. Er ist unser bestes Geschäft. Barboni, Tintenfische und Sardellen kommen aus Italien
oder von den griechischen
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