Timm Thaler
Fischern. Daran ist nicht viel zu
verdienen. Aber kommen Sie weiter, Herr Thaler, kommen Sie,
kommen Sie!“
Lefuet war wie berauscht auf diesem Markt. Sie standen jetzt vor
einer Kalkwand, an der geschlachtete, abgezogene Schafe hingen,
die Zungen seitwärts aus dem Maul gestreckt.
„Diese Schafe kommen aus Venezuela“, sagte der Baron. „Und
die Schweine dort haben wir in Jugoslawien gekauft. Ein gutes
Geschäft.“
„Kommt eigentlich außer den Fischen auch etwas aus
Griechenland?“ fragte Timm.
„O ja“, lachte Lefuet, „einiges kommt auch aus dem Lande:
Korinthen, Wein, Bananen, Kuchen, Olivenöl, Granatäpfel, Wolle,
Stoffe, Feigen, Nüsse, Auberginen und Bauxit.“
Lefuet hatte die Aufzählung so feierlich gesprochen, als sei es das Geschlechtsregister des Königs David aus der Bibel. Er war mit
Timm inzwischen in die Käsestraße geraten, in der viel weißer Käse ausgebreitet lag. Der ganze Spaziergang war ein Stoßen und
Schieben zwischen schreienden Verkäufern und laut handelnden
Kunden. Bei den Fischen wafen sie durch Pfützen gewatet, in denen Zwiebelringe schwammen; bei den Schafen waren sie genötigt
gewesen, Blutlachen zu umgehen; und als sie zwischen die
Obststände gerieten, war der Boden von Schalen glatt.
Vor Timm streiften drei Buben herum und stahlen unter den
Augen der Menge eingelegte Oliven. Niemand nahm Anstoß daran,
nicht einmal die Verkäufer, die nur böse und kurz aufbellten, um ihre Aufmerksamkeit sofort danach wieder zahlungsfähigen Kunden
zuzuwenden. Die kleinen Diebe lachten.
Verwirrt und erschöpft verließ Timm nach geschlagenen zwei
Stunden diesen Alptraum eines Marktes, dieses Prahlen, Schreien
und Drängen, das den Baron so entzückte, diesen Riesenbauch einer Stadt mit ungeheurem Appetit.
Auf ein Zeichen des Barons kam das Auto vorgefahren. Diesmal
hatte es nur vier Türen und schwarze Polster. Lefuet befahl dem
Fahrer, zum byzantinischen Museum zu fahren. Zu Timm sagte er:
„Es wird Ihnen dort gefallen, Herr Thaler. Aber ich verrate Ihnen nicht, warum.“
Timm war nicht im geringsten neugierig auf dieses Warum. Er
war ganz einfach erschöpft und hungrig. Aber er sagte kein Wort
darüber. Er wollte sich so selten wie möglich schwach zeigen
gegenüber diesem seltsamen Händler, der sein Lachen gekauft hatte.
Deshalb ließ er sich auch brav in das byzantinische Museum
schleppen.
Die Bilder, vor die der Baron den Jungen führte, waren
sogenannte Ikonen. Sie wurden, so erklärte Lefuet ihm,
hauptsächlich von Mönchen gemalt, die viele hundert Jahre lang
nach immer den gleichen strengen Regeln malten.
Timm merkte bald, warum der Baron ihn hierhergeführt hatte.
Die Gesichter der Ikonen mit den großen starren Augen und den
langen Nasen, die das Oval der Gesichter in zwei gleiche Hälften
teilten, waren Gesichter ohne Lächeln. Sie glichen darin den blassen holländischen Gesichtern des Palazzo Candido in Neapel. Timm
fand sie schrecklich. Als Lefuet ihn längere Zeit vor einem Bild des Heiligen Georg festhielt, einer düsteren Felsszenerie in Olivgrün, in der der Heilige von einem blutroten Mantel umwallt wird, murmelte er den Spruch Jonnys vor sich hin: „Lehre mich lachen, rette meine Seele!“
Und es war merkwürdig: Durch die Erinnerung an Jonny sah
Timm plötzlich die Bilder mit anderen Augen an. Plötzlich sah er, daß die malenden Mönche all das, was sie den Menschen auf ihren
Bildern vorenthielten, dem Tier und der Pflanze gestatteten, nämlich zu blühen, zu lächeln und zu leben. Während Lefuet von der heiligen Disziplin der Ikonenmaler schwärmte, entdeckte Timm im
rankenden Beiwerk der Tafeln grinsende Hündchen, zwinkernde
Greife, lustige Vögel und lachende Lilien. Und wieder fiel ihm ein Spruch ein, diesmal aus dem Hamburger Marionettentheater: „Das
Lachen unterscheidet Mensch und Tier.“ Nur war es hier umgekehrt
wie in dem Marionettentheater: Hier lachte das Tier, und der Mensch starrte streng und erbarmungslos in eine Welt ohne Paradies.
Im ersten Stock des Museums unterhielt Lefuet sich eine Weile
mit dem Direktor, den man vom Besuch des reichen Barons
benachrichtigt hatte. Timm trat währenddessen durch eine offene
Flügeltür auf einen kleinen Balkon hinaus. Von dort aus sah er unter sich ein kleines Mädchen, das mit einem Zweig Linien in den harten Boden des Vorplatzes zog und sie dann mit bunten Steinchen
auslegte. Anscheinend war sie vorher im Mosaiksaal gewesen und
fertigte nun
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