Timm Thalers Puppen
Gasball, was denn das sei?
Oskar von Sass erklärte auch dies geduldig. »Ein Gasball«, sagte er, »ist nicht der Schwerkraft unterworfen. Er schwebt, von einem Gas getragen, etwa dreiviertel Meter über dem Boden. Man muß ihn mit der Hand zu Boden schlagen. Das gibt eine ganz neue Art von Spiel. Und da die Menschheit immerzu auf Neues aus ist, bin ich ganz sicher, daß der Gasball ein Riesenerfolg werden wird.«
Nicht ungeschickt fügte er hinzu: »Rund anderthalb
Millionen Mark stecken schon in der Werbung.«
Das gab den Ausschlag: Tunis und Cuxhaven stimmten,
wenn auch seufzend, zu. Die kleine Firma, die den noch ganz unbekannten Gasball herstellte, wurde erworben, und auf den Ball wurde die Werbung eingestellt: Sie lautete zum Beispiel: DIE NEUHEIT DER SAISON:
DER GASBALL KURS
Wer kukst, bleibt fit! – Drum kukse mit!
Tatsächlich wurden dank der Werbung Gasballspiele große Mode. Mehr als ein Jahr lang verkaufte sich der Gasball glänzend. Dann ging es ihm wie allen Modedingen: Er wurde altmodisch. Der Verkauf ging zurück.
Da gab die seltsame Fabrikationsgemeinschaft aus Werbe-Henne, Fischmehl-Henne und der afrikanischen SNA die Fabrikation wieder auf.
Als Gewinn verblieben acht Millionen
siebenhunderttausend Mark, die Summe, mit der alles
angefangen hatte. Sie reichte nicht ganz für den Bau einer Fischmehlfabrik: Denn das Geld war jetzt weniger wert.
Als die Geschichte zu Ende war, waren die letzten Wolken über unseren Leuchtturm hinweggezogen. Der Himmel war so blau wie das Meer, in dem er sich spiegelte. Der Baron schien nach der Geschichte ausnahmsweise guter Laune zu sein.
»Dieser Gasball, Herr Thaler«, sagte er, »ist eine hübsche Erfindung von Ihnen.«
»Er ist keine Erfindung, Baron«, sagte Timm. »Den hat’s tatsächlich mal für kurze Zeit gegeben.«
»Daran sieht man«, sagte ich, »daß Werbung allein nichts nützt, wenn das Produkt, für das geworben wird, auf die Dauer nichts nützt. Wenn die Leute den Gasball überhaben, haben sie ihn eben über. Punktum.«
»Und ich hab jetzt den Leuchtturm über«, sagte Krescho.
»Wandern wir zurück?«
Wir stimmten zu und gingen diesmal, als die Häuser
anfingen, nicht am Strand, sondern durch die Ortschaft zurück.
Liier gingen wir gerade an einer Kirche vorbei, vor der sich ländlich-festlich gekleidete Menschen drängten, als diese Menschen plötzlich auseinanderwichen. Ein großer dicker Mann in einem schwarzen Anzug erschien und führte an seinem Arme ein junges, hochzeitlich in Weiß gekleidetes Mädchen.
Vor diesem schwarzen Manne mit der rührend schmalen
weißen Braut am Arm bildeten die Menschen eine Gasse, und am Ende der Gasse, in die wir genau hineingucken konnten, öffnete sich weit das Mittelportal der Kirche, das sich nur für die festlichen Tage des Lebens auftut. Blumen und Lichter in der Dämmerung des Kirchenschiffes wurden sichtbar, schwere Akkorde einer Orgel drangen aus dem Dämmer in das Licht, und in die Blumen und Kerzen und Orgelklänge hinein
schritten ganz langsam Mann und Mädchen.
Ich sah in diesem Augenblick zufällig des Barons Gesicht und war erschrocken. Mit stieren Augen, fahlen Wangen und schräg zuckendem Munde starrte er nach rechts.
Ich folgte seinem Blick und sah nun Krescho, aus dessen Augen Wasserperlen sprangen, fast runde Tränen, die ihm von den Wimpern auf die Wangen tropften.
Krescho – kein Zweifel – war gerührt, wie ich es bei schönen symbolischen Handlungen auch immer bin (ich hatte gleichfalls feuchte Augen). Der Baron jedoch – auch daran war kein Zweifel – neidete ihm das Gerührtsein.
»Er will Krescho die Fähigkeit abkaufen, sich rühren zu lassen«, dachte ich. »Er braucht kein Lachen mehr; er braucht die Rührung, die er Weinen nennt. Höchst seltsam. Bei Nele hat er ja das Weinen noch verdammt.«
Während ich über meine merkwürdige Beobachtung
nachdachte und die Hochzeitsgäste, dem Paar nach, in die Kirche strömen sah, hörte ich den Baron sagen: »Meine Herren, mich rufen Geschäfte. Es war mir ein Vergnügen.
Empfehle mich.«
So rasch wie gewöhnlich verschwand er hinter der Menge,-
und ich ging mit Timm und mit Krescho, der sich mit einem Lächeln die Tränen trocknete, weiter durch den Ort, bis Krescho seinen Tennisfreund Guido entdeckte und mit dem davonlief. Der Bruder Guidos war mit einem Boot im kleinen Hafen. Sie wollten eine Seefahrt machen.
Nun berichtete ich Timm, was ich vor der kleinen Kirche beobachtet hatte, und fügte hinzu:
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