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Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Winterfeld
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Zweiliterkanne geholt, doch kriegte auch er nur einen Schöpflöffel Milch. Nun schafften wir die leeren Körbe in den Laden und die Milchkannen in das Geschäft zurück und schlossen wieder ab.

    Nachdem die Kinder gefrühstückt hatten, wurden sie wieder lebhafter. Die größeren Jungen und Mädchen scharten sich um uns und wollten wissen, was wir vorhatten.
    »Das Plakat habt ihr fein gemacht!«, riefen mehrere. »Was sollen wir jetzt tun?«, fragten andere.
    »Zuerst müsst ihr versprechen, keinen Unfug mehr zu machen!«, erwiderte Thomas.
    »Jawohl!«, schrien sie alle.
    »Ihr müsst euer Ehrenwort geben!«, rief Thomas.
    »Ehrenwort!«, tönte es einstimmig zurück. Sie waren jetzt alle satt und sehr friedlich gesinnt. Sie waren dankbar, dass etwas geschah, um sie aus der Klemme zu ziehen.
    »Wo ist Oskar?«, wollte ich wissen.
    »Die Piraten haben ein paar Plakate abgerissen«, erzählte ein kleines Mädchen aufgeregt.
    »Dann sind sie zum Timpebach gezogen, zum Baden!«, fuhr ein Junge fort. »Die werden einen schönen Appetit kriegen«, meinte der dicke Paul. »Oskar hat doch genug Würste im Laden«, schrie Pussi Tucher. »Die essen sie alle auf!«
    »Uns haben sie gestern nichts abgegeben«, schimpfte Edi Pütz. »Sie sollen selig werden mit ihren Würsten!«, rief der dicke Paul zornig. »Bekommen wir heute noch mal was zu essen?«, fragte Horst Wittner. »Natürlich«, erwiderte Thomas. »Wer von euch hat Lebensmittel zu Hause?«
    Ein großes Geschrei entstand. Es stellte sich heraus, dass fast alle Speisekammern daheim leer waren. Nur wenige hatten noch Reste entdeckt, die aber sauer geworden waren.
    »Wir müssen doch einmal wieder was Warmes in den Bauch bekommen!«, jammerte Rudi Diepenheuer. Der war auch so ein Dicker wie Paul Brandstetter.
    »Sehr richtig!«, stimmte ihm der dicke Paul erfreut zu.
    »Nur nicht verzweifeln!«, rief Thomas. »Lebensmittel gibt es noch genug in der Stadt. Aber wer kann kochen?«
    »Ich! Ich! Ich!«, schrien alle Mädchen.
    »Aber es gibt doch gar kein Gas!«, quiekte Lotte Dröhne. Die Kinder verstummten erschrocken. Thomas kraulte sich hinterm Ohr.
    »So eine Pleite!«, sagte er.
    Wir blickten betrübt in die Zukunft. Wir konnten doch nicht nur von alten Semmeln und Milch leben. Außerdem waren die Semmeln schon alle. Plötzlich drängte sich Marianne vor. »Ich hab’ eine Idee!«, meldete sie sich erregt.
    »Was?! Schieß los!«, ertönte es von allen Seiten.
    Marianne zog die Stirn kraus und legte den Finger an die Nase. »Wir essen alle im ›Goldenen Posthorn‹«, sagte sie. »Da gibt es viele Tische und Stühle im großen Speisesaal, eine gefüllte Vorratskammer und einen herrlichen Herd!«
    Das war ein blendender Einfall. Die Kinder schrien »Hurra!« und tanzten begeistert umher.
    »Sehr gut«, bemerkte Thomas ein bisschen spöttisch. »Aber der Herd im ›Goldenen Posthorn‹ ist elektrisch, und wir haben keinen Strom. In dem kleinen Kaminkessel können wir nicht für alle kochen.«
    Marianne blickte Thomas ganz verdutzt an. »Dafür kann ich doch nichts«, erwiderte sie schnippisch und rümpfte die Nase.
    Die Kinder waren schwer enttäuscht. Sie hatten sich schon mordsmäßig darauf gefreut, im »Goldenen Posthorn« essen zu dürfen. Die meisten hatten noch nie in einem Restaurant gegessen. Und die andern auch nur an besonderen Feiertagen, wenn sie Geburtstag hatten oder eine Hochzeit war.
    Ich hatte inzwischen in aller Stille einen kühnen Entschluss gefasst. Das Gaswerk konnten wir unmöglich in Betrieb nehmen. Aber ich hatte einen anderen Plan.
    »Hört mich an!«, rief ich laut.
    Alle blickten mich gespannt an.
    »Wenn wir keinen Strom haben, werden wir uns welchen verschaffen«, fuhr ich seelenruhig fort, als ob es das Einfachste von der Welt wäre.
    Die Kinder waren baff. »Der ist verrückt! So ein Schwindel!«, erschollen empörte Rufe.
    »Wie willst du denn das machen?«, schrie Horst Wittner.
    »Du bist doch kein Hexenmeister!«, höhnte Hases Ältester.
    »Lasst Geheimrat ausreden!«, befahl Thomas streng.
    Ich nahm meine Brille ab und setzte sie wieder auf. »Passt auf!«, begann ich ernst. »Unser Elektrizitätswerk wird mit weißer Kohle betrieben.«
    »Weiße Kohle! So ein Blödsinn!«, brüllte jemand wütend. »Ruhe!«, riefen viele.
    »Weiße Kohle ist Wasserkraft«, belehrte ich den schafsdummen Zwischenrufer. »Unser Elektrizitätswerk hat keine kohlengeheizte Dampfmaschine, sondern eine Turbine, die durch herabstürzendes Wasser

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