Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
ich schaffte es allein nicht.
»Steht nicht wie die Idioten da, sondern helft mir!«, schrie ich die anderen an.
Sie sprangen hinzu, und mit vereinten Kräften konnten wir das Rad ganz gut in Schwung bringen. Nun rannte ich zu meinem Platz vor der Schnellpresse zurück. Ich ergriff einen Zettel und legte ihn auf.
Er klappte langsam um, wurde von den Greifern gegen den Satz gepresst, verschwand unter den Walzen und kam hinten auf dem laufenden Band wieder zum Vorschein. Hier legte er sich fein säuberlich auf den Tisch.
Marianne hob ihn hoch, blickte hinein, schwenkte ihn dann triumphierend in der Hand und stieß einen Freudenschrei aus.
»Er ist bedruckt!«, jauchzte sie.
»Hurra!!«, brüllten wir und liefen zu ihr hin. Jeder las das Plakat durch. Wir waren selig. Die paar Druckfehler störten uns gar nicht. Die Schrift sah ein bisschen komisch aus. Auch hatte ich einige Buchstaben in der Eile des Setzens verschieden groß gewählt, einige sogar auf den Kopf gestellt.
Aber das beeinträchtigte unsere Freude über das gelungene Werk nicht im Geringsten.
Nun ging es mit Volldampf an die Arbeit. Die Jungen mussten schwitzend und stöhnend das schwere Schwungrad drehen, die Mädchen die Zettel auflegen, hinten aus der Maschine nehmen, zählen und stapeln.
Nach einer halben Stunde hatten wir 200 Plakate gedruckt und hörten auf.
Wir liefen zum Geißmarkt zurück. Ich holte aus unserem Geschäft eine Menge Schachteln mit Reißnägeln. Die wurden verteilt. Jeder bekam zehn Plakate, dann rannten wir nach allen Richtungen auseinander, um sie in der ganzen Stadt an Zäunen und Haustoren zu befestigen. Nachher wollten wir uns vor Frau Weißmüllers Milchladen treffen.
Ich habe meinen Kleiderschrank durchsucht und noch eins dieser Plakate gefunden. Hier ist es:
13
Ich erinnere mich an Werkmeister Giese
Unser Plakat war ein Riesenerfolg. Die Kinder strömten von allen Seiten auf den Geißmarkt. In großen und kleinen Trupps kamen sie aus den verschiedenen Stadtteilen auf den Platz gezogen. Die kleinen Brüder und Schwestern trippelten hinterher. Alle Kinder hatten Gläser oder Kännchen in den Händen, um die versprochene Milch in Empfang zu nehmen. Der Übermut von gestern war verflogen. Die Nacht in den lichtlosen, verlassenen Wohnungen hatte sie kleinlaut gemacht. Das schreckliche Gewitter am Abend war auch noch nicht vergessen. Jetzt hatten sie alle hungrige Mägen, und die Angst, dass die Eltern verschwunden bleiben würden, war groß. Unser Aufruf imponierte den Kindern sehr, besonders, dass er gedruckt war. Sie hatten sich sofort auf die Socken gemacht. Das Gedränge vor Frau Weißmüllers Milchladen wurde immer größer. Die Kinder warteten auf unsere Hilfe. Es waren auch einige Piraten gekommen, fast alles Mädchen. Aber die meisten Piratenjungen fehlten. Sie waren sicherlich zu Oskar gelaufen und erzählten ihm die aufregenden Neuigkeiten. Wir sollten bald spüren, dass er sich noch nicht geschlagen gab. Alle Kinder von Timpetill, die ein bisschen Grips hatten, waren zu uns gekommen. Die Kleinen waren ausnahmslos aufmarschiert. Röschen Traubs Geschwister waren auch da. Sie begrüßten jubelnd ihre Schwester und streckten ihr gleich die Milchbecher entgegen.
Wir hatten inzwischen die Milchkannen aus dem Kühlraum geholt und sie vor dem Geschäft aufgestellt. Marianne war mit einem großen Schöpflöffel bewaffnet. Sie verteilte die Rationen. Erna, Röschen und Trudi halfen ihr; Karl Benz, Fritz Schlüter und Robert Punkt ordneten die Schlange der Kinder, die Marianne ihre mitgebrachten Gefäße hinhielten. Jedes Kind bekam einen vollen Schöpflöffel eingeschenkt. Wenn eine Kanne leer war, öffneten Ludwig Keller und Ernst Werner eine neue. Ein paar Häuser weiter hatten Thomas, Heinz und ich vor Bollners Bäckerladen Aufstellung genommen. Wir hatten große Körbe mit alten Semmeln, Broten und Zwieback herausgeschafft. Die Kinder mussten dann an uns vorbeiziehen und kriegten zwei Semmeln oder drei Zwiebäcke oder eine dicke Scheibe Brot. Das Brot hatten wir schon früher zurechtgeschnitten. Max Pfauser und seine Brüder Gustav und Walter passten auf, dass sich niemand zum zweiten Mal einschmuggelte. Die Kinder ließen sich auf der Rathaustreppe nieder, auf dem Brunnenrand oder auf Mauervorsprüngen, und frühstückten. Als alle versorgt waren, erhielten wir unseren Teil. Thomas duldete nicht, dass wir mehr als die anderen bekamen. Der dicke Paul war rasch nach Hause gelaufen und hatte sich eine
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