Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
»Ihr müsst alle mitmachen! Sonst können wir einpacken. Es geht auch nicht, dass jeder Dickschädel dazwischenquatscht. Ihr sollt jetzt einen Präsidenten wählen, der zu befehlen hat!«
Die Kinder sprangen von den Sitzen auf und schrien begeistert: »Manfred und Thomas sollen Präsidenten sein! Manfred und Thomas!«
»Wir nehmen die Wahl an!«, brüllte Thomas.
»Halt!« Ich erhob mich rasch. »Ich bitte ums Wort!« Ich versuchte mir Gehör zu verschaffen. Ludwig Keller schlug wild auf den Gong. Die Kinder verstummten.
»Geheimrat will reden!«, rief Marianne.
»Thomas soll allein Präsident sein!«, sagte ich. »Zwei Präsidenten sind Blödsinn!«
»Hurra!«, schrien die Kinder. »Thomas ist Präsident!« Thomas schwenkte den Arm. Es wurde ruhig im Saal.
»Geht in Ordnung!«, quittierte er seine Wahl. »Ich mache Geheimrat zum technischen Generaldirektor!«
»Hurra!« Die Kinder klatschten Beifall. »Hurra, Geheimrat ist Generaldirektor!«
Ludwig Keller gongte.
»So!«, begann Thomas wieder. »Das hätten wir. Ich ernenne jetzt die Kommandanten. Den Kommandanten ist genauso zu gehorchen wie mir. Sie haben die Aufsicht über die Arbeit. Sie müssen aber auch bei der Arbeit die Fleißigsten sein, sonst werden sie abgesetzt.«
»Sehr richtig!«, ertönte ein Zwischenruf.
Thomas nahm einen Zettel vom Tisch und las vor: »Karl Benz! Robert Punkt! Paul Brandstetter! Marianne Loose! Otto Rabe! Trudi Rabe! Max Pfauser! Walter Pfauser! Gustav Pfauser! Röschen Traub! Heinz Himmel! Fritz Schlüter! Ludwig Keller! Ernst Werner! Erna Schlüter!«
Die Aufgerufenen erhoben sich von ihren Plätzen.
»Ihr habt gestern als Erste mitgeholfen, den Saustall auszumisten!«, sagte der Präsident. »Darum ernenne ich euch zu Kommandanten. Tut eure Pflicht!«
Die Kinder im Saal klatschten begeistert in die Hände und trampelten mit den Füßen. Es war ein feierlicher Augenblick. Die frischgebackenen Kommandanten strahlten über das ganze Gesicht. Der dicke Paul verbeugte sich sogar.
»Bitte Platz zu nehmen!«, sagte Thomas zu den Kommandanten. Sie setzten sich wieder hin. Nun reichte ich Thomas das Blatt Papier mit den Betriebsvorschlägen, die wir siebzehn Retter in der Not vorher ausgetüftelt und aufgeschrieben hatten. Thomas schwenkte das Blatt hoch in der Rechten.
»Kinder von Timpetill!«, rief er. »Hier habe ich die Notbetriebsordnung für die Zeit, solange die Stadt ohne Eltern ist.«
»Schieß los!«, scholl es aus dem Saal. »Abwarten und Tee trinken!«, fuhr Thomas fort. »Die Vorstellung beginnt gleich. Ich gebe nur noch den feinen Brüdern, die sich ihre Marzipanfingerchen nicht schmutzig machen wollen, den guten Rat, sich rechtzeitig zu verdrücken. Wer seinen Posten angetreten hat, darf nicht mehr kneifen! Sonst wird er zum Verräter erklärt. Wer nicht mitschuften will, dem ist nicht zu helfen. Der kann ja sehen, ob er bei unseren Feinden, den Piraten, was zu futtern kriegt!« Er verstummte und blickte herausfordernd in den Saal. Es rührte sich niemand. Thomas war sehr schlau, er hatte die Kinder bei ihrer Ehre gepackt. Drückeberger wollte keiner sein.
»Na, dann rein ins Vergnügen!«, sagte Thomas. Er setzte sich in seinen Lehnstuhl und legte das Blatt Papier vor sich hin. »Punkt eins«, begann er. »Jungen und Mädchen, die noch Spielsachen, Bücher oder sonstigen Krempel von dem gestrigen Raubzug zu Hause haben, müssen alles bis heute Abend um sieben im Rathaus bei Ludwig Keller, Zimmer zwei, abliefern.«
Im Saal wurde es totenstill. Das war eine bittere Pille. Niemand wagte zu widersprechen. Viele schämten sich jetzt wegen der gestrigen Plünderung.
Thomas blickte auf.
»Es wird keiner bestraft«, sagte er. »Was gestern war, soll vergessen sein. Schwamm drüber! Aber wer nicht freiwillig abliefert, darf nicht im ›Goldenen Posthorn‹ mitessen. Er kriegt seine Mahlzeit auf die Straße gestellt.«
»Ich bringe alles zurück«, kam es schüchtern aus der Mitte des Saales. »Ich auch! Ich auch!«, riefen mehrere Stimmen.
»Erledigt!«, brummte Thomas. »Ruhe jetzt! Ludwig Keller wird zum Kommandanten über die Kaufläden ernannt. Sein persönlicher Adjutant ist Walter Pfauser. Die beiden haben ihr Hauptquartier im Rathaus, Zimmer zwei. Sie bekommen sämtliche Schlüssel für die Läden und die Betriebe. Die Schlüssel, die gebraucht werden, sind morgens bei Ludwig Keller abzuholen und abends zurückzubringen. Ihm untersteht auch die Ordnung in den Geschäften und die Reinhaltung der
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