Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Elektrischen ist eine ganz besonders gefährliche Sache«, begann er gedehnt.
»Ich weiß«, erwiderte ich. »Kannst völlig beruhigt sein. So ein Auto hat viel mehr Mucken. Die Bahn fährt auf ihren Schienen, und beim Rückwärtsfahren kann nichts passieren.
»Gut«, fuhr Thomas beruhigt fort. »Aber pass verdammt auf! Wir beide haben die Verantwortung. Immer hübsch langsam voran!«
»Wie mit einem Kinderwagen«, sagte ich lachend.
»Ihr … ihr wollt mit der Elektrischen fahren?«, stieß Ernst Werner fassungslos hervor.
»Mach den Mund zu, sonst zieht’s!«, rief Thomas. Dann ließen wir den verdutzten Ernst Werner stehen und rannten hinaus. Draußen waren die Schutztruppler mit dem Abladen der Säcke beschäftigt. Sie hatten schon über die Hälfte heruntergehoben und neben die Schienen der Straßenbahn gelegt. Marianne stand oben auf dem Auto und kommandierte: »Auf die andere Seite der Schienen auch ein paar Säcke!«
»Mach dich nicht so wichtig«, brummte der dicke Paul, der mit fünf andern Jungen an einem der schweren Säcke schleppte.
Thomas und ich packten jetzt auch mit an.
Kurze Zeit später kam Eugen Geiser auf seinem Rad über den Platz gesaust. Er brachte uns den Schlüssel zur Remise. Ich kletterte vom Wagen herunter.
»Ist irgend etwas los?«, fragte Thomas den Kurier.
»Ja«, keuchte er. »Die Piraten! Sie haben Friedrich Andermutz gefangengenommen! Sie haben ihn schrecklich verhauen. Nachher haben sie ihm die Hände gebunden und einen Pappdeckel an einem Strick um den Hals gehängt. Auf den Deckel haben sie was draufgeschrieben. Dann haben sie Andermutz freigelassen. Er kam ins Rathaus und hat vor Wut geheult.«
»Was stand denn auf dem Pappdeckel?!«, fragte Thomas stirnrunzelnd.
Eugen Geiser war etwas verlegen. »›An Thomas und seine Stiefellecker!‹ stand drauf«, sagte er. »Und dann noch: ›So geht es euch auch bald! Die Stunde der Rache hat geschlagen! Zieht euch warm an! Oskar.‹«
»Jetzt wird’s aber höchste Eisenbahn, dass wir zum Geißmarkt kommen!«, rief ich.
21
Ich gehe auf volle Fahrt
Ich schloss die Remise auf und ging hinein. Die Halle ist nicht sehr groß und nur matt beleuchtet. Gleich vorne steht der schmucke rote Triebwagen. Im Hintergrund sah ich den Anhänger, der sehr selten benutzt wird. Otto Rabe kam mir nachgelaufen und rief mir zu: »Ich glaube, man muss zuerst den Strom einschalten!«
Ich nickte zustimmend und suchte nach dem Hauptschalter für den Leitungsdraht. Ich entdeckte eine kleine isolierte Kammer. Auf der Tür war ein Blitz abgebildet mit der Aufschrift: »Vorsicht Hochspannung!« Dahinter vermutete ich die Schaltanlage. Ich trat ein.
»Aha!«, dachte ich mir. »Die drei großen Hebel auf der Marmorplatte teilen bestimmt das Stromnetz in drei Abschnitte.« Ich schaltete alle drei ein und lief zum Triebwagen. Zuerst ließ ich an einer Ziehvorrichtung den Strombügel, der heruntergezogen war, hoch. Als er gegen den Leitungsdraht stieß, schossen blitzartige Funken hervor. Das hörte aber auf, als der Strombügel sich fest gegen den Draht legte. Dann forschte ich nach dem Steckhebel, mit dem man den Antriebsmotor einschaltete. Die Handgriffe hatte ich dem Fahrer, Herrn Dunken, abgeguckt. Ich wusste ganz genau, dass man hübsch eins nach dem andern machen musste. Den Steckhebel fand ich in einem Werkzeugkasten. Jetzt sprang ich auf die vordere Plattform und stellte mich an den Führerstand. Ich steckte den Hebel in die Schaltanlage und drehte ihn eine Viertelwendung nach rechts, bis er einschnappte. Damit war der Antriebsmotor eingeschaltet. Auf der Platte mit den vielen Ziffern stand die Kurbel, die Herr Dunken den Fahrschalter nennt, auf »Aus«. Links sind arabische Ziffern von 1 bis 5. Das ist zum Gegenstrom geben oder Bremsen, wie ich wusste. Rechts herum laufen römische Ziffern von I bis V. Und wieder rückwärts von V bis I. Dann kommt ein Strich mit der Aufschrift »Aus«. Dann ein viereckiger Eisenzapfen, daneben ist ein Strich mit der Aufschrift »Fahrt«. Otto sah mir gespannt zu, was ich jetzt machen würde.
»Was bedeuten überhaupt die Ziffern?«, fragte er mich neugierig.
»Hier in dem Kasten sind die Widerstände!«, erklärte ich ihm. »Über diese Schaltungswiderstände wird der Strom in den Antriebsmotor geleitet. Je mehr Widerstände ich durch das Drehen mit der Kurbel ausschalte, desto stärkeren Strom kriegt der Motor. So kann man die Geschwindigkeiten regeln.«
»Aha!«, sagte Otto, aber verstanden hatte er es
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