Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
haben den Tattersall verlassen und ziehen in die Stadt!«, schrie er uns schon von weitem entgegen. »Sie sind alle bewaffnet!« Er stoppte und sprang vom Rad. »Was soll geschehen?«, fragte er Thomas.
»Fahr sofort zurück!«, befahl Thomas. »Die gesamte Schutztruppe soll antreten. Alle Mädchen haben im ›Goldenen Posthorn‹ zu bleiben! Die Wachmannschaft vor der Schule soll sich mit den Kleinen im Gebäude einschließen und niemanden einlassen! Fahr los! Wir kommen gleich hinterher!«
Robert Punkt schwang sich wieder aufs Rad und strampelte wie ein Wilder den Weg zurück.
»Alles einsteigen!«, kommandierte Thomas. Albert Biene wurde samt seinem Rad im Wagen untergebracht. Max Pfauser gab das Abfahrtssignal.
»Fahr etwas rascher!«, sagte Thomas zu mir.
Ich drehte die Kurbel auf volle Fahrt. Wir sausten mit höchster Geschwindigkeit durch die Kollersheimer Straße. Vor der Kurve an der Ecke der Langengasse bremste ich, so stark ich konnte, dann ging es wieder mit voller Fahrt in die Langengasse, die von hier bis zum Geißmarkt etwas ansteigt. Kurz vor der Endstation am Geißmarkt gab ich Gegenstrom, schaltete aus und zog so heftig die Handbremse, dass die Räder quietschten. Wir waren glücklich angelangt. Die Kinder sprangen aus dem Wagen. Ich schaltete den Strom zum Antriebsmotor aus und verstaute den Steckhebel in der Tasche. Dann ließ ich noch aus Vorsicht den Strombügel herunter. Inzwischen stürzten von allen Seiten die Schutztruppler auf uns los. Sie empfingen uns mit ungeheurem Geschrei. Alle redeten und brüllten durcheinander.
Sie waren ganz aus dem Häuschen, teils über das plötzliche Auftauchen der Elektrischen, teils über die Piraten. Thomas befahl ihnen, sofort die Säcke ins »Goldene Posthorn« zu schaffen. Aber kaum hatten sie damit begonnen, als die Schutztruppwachmannschaften aus der Pfarrgasse über den Platz gerast kamen. Die Jungen waren in größter Aufregung und schrien: »Die Piraten kommen! Die Piraten kommen!«
Der Hauptmann, Heinz Schultz, raste zu Thomas hin und stieß hervor:
»Sie ziehen durch die Pfarrgasse und die Rathausgasse!«
Thomas schrie: »Zu den Waffen! Lasst die Kartoffelsäcke sein!«
Die Jungen nahmen rasch ihre Stöcke auf, die sie beiseitegelegt hatten, und formierten sich in mehreren Reihen. Aus dem Rathaus kamen Ludwig Keller, Robert Punkt, Walter Pfauser und einige andere Jungen herausgelaufen. Sie hatten eine Menge Stöcke bei sich und verteilten sie an die Unbewaffneten. Thomas ordnete die Schutztruppe in fieberhafter Eile in zwei Gruppen.
»Die erste Gruppe zur Pfarrgasse!«, kommandierte er. »Die zweite zur Rathausgasse! Wir müssen die Piraten vom Geißmarkt zurückdrängen!« Er stellte sich an die Spitze der ersten Gruppe. Mir befahl er, die zweite Gruppe zu führen. Wir rannten auseinander. Ich lief an der Spitze meiner Mannschaft über den Platz zur Rathausgasse. Ich hatte Otto Rabe, den dicken Paul, Max Pfauser, Robert Punkt und Walter Pfauser bei mir. Bei Thomas blieben Fritz Schlüter, Ludwig Keller, Karl Benz, Heinz Himmel und Gustav Pfauser. Zu meinem großen Schreck sah ich, dass Marianne sich ebenfalls mit einem riesigen Knüppel bewaffnet hatte. Sie trabte mit fliegenden Haaren und wild entschlossener Miene hinter Thomas her, der sie in seiner Aufregung gar nicht bemerkte.
Ich brüllte so laut ich konnte: »Marianne! Sofort ins Rathaus!« Aber es war schon zu spät. Um die Ecke der Pfarrgasse kam mit wütendem Geheul eine Horde von Piraten gelaufen, die drohend ihre Stöcke schwangen. An der Spitze stürmte Hannes Krog und feuerte seine Jungen zum Kampf an. Im gleichen Augenblick stießen die Piraten auch schon mit Thomas und seinen Schutztrupplern zusammen. Ein erbittertes Handgemenge entstand. Ich hörte nur noch zornige Rufe, schreckliche Beschimpfungen und erschrockene Schmerzensschreie, dann war ich plötzlich selber mitten im Kampfgewühl. Die zweite Piratenbande war aus der Rathausgasse über uns hergefallen, und die Feinde hieben mit den Stöcken auf uns ein. Wir gaben die Schläge tüchtig zurück. Bald brachen hier und da die Waffen entzwei, und die Kämpfenden schlugen mit den Fäusten aufeinander los. Von irgendwoher wurde ein heftiger Stockschlag gegen meine Brille geführt. Sie fiel aufs Pflaster und brach entzwei. Ich war maßlos erbittert und sprang dem erstbesten Jungen an die Kehle. Wir plumpsten beide hin und wälzten uns ächzend und schimpfend auf der Erde. Plötzlich entdeckte ich, dass ich irrtümlich
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