Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
wieder frech. Wer weiß, ob sie uns nicht einen bösen Streich spielen wollen. Wir dürfen unsere Streitkräfte vorläufig nicht zersplittern.«
»Holen wir die Kartoffeln morgen früh«, warf Karl Benz ein.
»Dann stehlen sie uns die Piraten inzwischen«, behauptete Max Pfauser. Wir saßen wieder einmal in der Tinte. Ohne die Kartoffeln konnten wir die vielen Kinder unmöglich satt kriegen.
Ich setzte mich aufs Trittbrett des Autos und stierte vor mich hin. Die andern standen schweigend herum und suchten ebenfalls nach einem Ausweg. Mit einem Mal fiel mein Blick auf die Remise der elektrischen Straßenbahn gegenüber dem Bahnhof. »Ha!«, rief ich und sprang auf. Dann sauste ich über den Platz. Die andern sahen mir verblüfft nach. Sie dachten, dass ich ausrücken wollte.
»He! Wo willst du denn hin?! «, schrie Thomas.
»Drückt die Daumen!«, brüllte ich zurück. Ich hatte die Remise erreicht und rüttelte an der Türklinke. Aber das Tor ging nicht auf. Es war verschlossen.
Jetzt hatten die andern begriffen, was ich vorhatte, und kamen rasch angelaufen.
»Willst du mit der Elektrischen fahren?«, schrie Karl Benz erregt.
»Jawohl«, erwiderte ich. »Ich weiß genau, wie man damit umgeht. Wir könnten die Kartoffelsäcke einfach umladen und mit der Bahn bis zur Langengasse, Ecke Geißmarkt, transportieren. Von dort werden wir sie leicht ins ›Goldene Posthorn‹ kriegen.«
»Fabelhaft! Einfach toll!«, riefen die Kinder entzückt. Thomas klopfte mir auf die Schulter. »Du bist ein Patentkerl, Geheimrat«, lobte er mich.
»Ja, von wegen«, erwiderte ich. »Mit der Elektrischen ist es Essig, die Remise ist bombensicher verschlossen.«
»So eine Gemeinheit!«, schimpfte Marianne und stampfte ärgerlich mit dem Fuß auf.
»Regt euch nicht auf!«, tröstete Thomas uns lachend. »Wir telefonieren vom Bahnhof aus mit Ludwig Keller, dass er uns sofort durch einen Radkurier den Schlüssel für die Remise schickt.«
»Blendend!«, sagte ich. »Dann kann ich auch gleich im Elektrizitätswerk anrufen, damit sie den Starkstrom für die Bahn einschalten.«
Thomas befahl den Schutztrupplern, sogleich mit dem Abladen der Säcke zu beginnen, während wir telefonieren gingen.
Ernst Werner saß mit seiner Wachtruppe im Dienstzimmer des Bahnhofs und spielte mit den Jungen Karten. Thomas fuhr wie ein Donnerwetter dazwischen. »Seid ihr übergeschnappt!? Nennt ihr das Wache stehen?! Marsch an eure Plätze!«
Die Schutztruppler schlichen schuldbewusst hinaus. Ernst Werner versuchte, sich zu entschuldigen. »Wir haben gar nichts zu tun. Der Zug kommt doch erst um sieben.«
»Halt den Mund!«, fuhr Thomas ihn an. »Zeig uns lieber, wo das Telefon ist!«
»Hier!« Ernst Werner führte uns zum Apparat.
Thomas nahm den Hörer ab. Es dauerte ziemlich lange, bis sich das Amt meldete. »Du schläfst wohl wieder?«, rief er in den Apparat. »Verbinde mich rasch mit Nummer neun!« Zu mir sagte er: »Natürlich Lotte Dröhne! Die hat die Schlafkrankheit. Pussi ist Kakao trinken gegangen. – Hallo?«, fragte er plötzlich. »Wer ist da? … Walter Pfauser? … Spitz die Ohren! Ludwig Keller muss sofort einen Radkurier mit dem Schlüssel für die Remise zum Bahnhof schicken! Wie? … Ja, den schnellsten Fahrer, den ihr habt! Aber rasch, rasch, rasch!«
Jetzt nahm ich ihm den Hörer aus der Hand und drehte an der Kurbel des Telefonkastens.
»Hier Lotte«, ertönte es schläfrig. Sie gähnte tatsächlich.
»Schlafmütze!«, schimpfte ich. »Verbinde mich mit Nummer dreiunddreißig!«
»Einen Augenblick«, erwiderte sie. »Ich muss erst niesen!«
»Es ist zum Verrücktwerden!«, stöhnte ich.
»Hatschi!!«, hörte ich Lotte laut prusten. Dann schien sie wieder eingeschlafen zu sein.
»Dumme Gans!«, brüllte ich aufgebracht. »Du sollst mich doch mit Nummer dreiunddreißig verbinden! Wir können nicht darauf warten, bis du geniest und geschlafen hast!«
Endlich meldete sich Hermann Scharschmidt. »Hier Elektrizitätswerk Timpetill!«
»Hier Manfred!«, erwiderte ich. »Alles in Ordnung?«
»Alles in Ordnung!«, kam es zurück.
»Turbine mit voller Kraftleistung laufen lassen!«, kommandierte ich. »Dann das Stromnetz für die elektrische Bahnleitung einschalten! Aber Vorsicht, Hochspannung!«
»Wird gemacht!«, rief er und hängte auf.
»So!«, sagte ich zu Thomas. »Wenn wir den Schlüssel haben, können wir abfahren.«
Thomas warf die Haare aus der Stirn und kniff die Augen zusammen. »Geheimrat, das mit der
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