Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Winterfeld
Vom Netzwerk:
größerer Trupp schoss blitzartig hinter dem Wagen hervor, breitete sich fächerartig aus und rannte auf uns zu. Die Piraten hatten sich die Hosentaschen mit Kartoffeln vollgestopft und bombardierten uns im Vorwärtsstürmen. Gleichzeitig wandte sich eine andere Gruppe gegen Fritz Schlüters Attacke und überschüttete die Angreifenden mit einem Hagel von Geschossen.
    Den Ausfall gegen den Geißmarkt führte der blutige Oskar. Er fegte mit riesigen Sprüngen auf uns zu und feuerte seine Jungen durch wilde Rufe an. Ich wollte den Wasserstrahl auf ihn richten, wurde aber im gleichen Augenblick von einer Kartoffel mitten ins Gesicht getroffen. Vor Schmerz ließ ich die Spritze fahren. Ich fiel hintenüber auf Heinz Himmel und Max Pfauser. Wir kippten um und stürzten zu Boden. Der Schlauch machte sich selbständig. Er wand sich wie eine wütende Riesenschlange auf dem Pflaster. Wir wurden pudelnass, und ich schrie:
    »Abstellen! Abstellen!« Irgendjemand drehte rasch den Hydranten zu, und ich sprang wieder auf. Da fielen auch schon einige Piraten über den Schlauch her und versuchten, ihn uns zu entreißen. Die Schlacht war mit großer Heftigkeit aufs Neue entbrannt. Oskar konnte sich bis zum Hydranten durchschlagen, und es gelang ihm, den Anstellschlüssel zu rauben. Thomas war von einem halben Dutzend Piraten zur Rathaustreppe abgedrängt worden. Marianne stand auf den Stufen und warf schnell aufgesammelte Kartoffeln auf die Feinde.
    Zu unserem Glück kam uns Fritz Schlüter mit seiner Mannschaft zu Hilfe. Er griff in den Kampf ein. Die Piraten zogen sich zurück. Sie besetzten rasch wieder die Elektrische und eröffneten ein neues Kartoffelbombardement.

    Wir waren jetzt genauso weit wie vorher. Solange wir die Bahn nicht erobern konnten, waren die Feinde unbesiegbar. Der Schlauch war nutzlos geworden, weil Oskar den Hydrantenschlüssel gekapert hatte. Wir behaupteten zwar immer noch den Geißmarkt, aber die Piraten beherrschten die Langengasse, und damit auch die wichtigen Geschäfte. Fritz Schlüters Umgehungsversuch hatte sich als zwecklos erwiesen; wir durften unsere Streitmacht nicht teilen, weil wir sonst den Geißmarkt nicht verteidigen konnten. Unsere Schutztruppler standen abwartend in zwei Haufen an den Ecken der Langengasse. Die lang anhaltende Rauferei hatte viele von uns sehr entkräftet. Wir mussten uns erst einmal verschnaufen. Hinter den Fenstern des »Goldenen Posthorns« drängten sich die Mädchen und lauerten aufgeregt auf den Ausgang der Schlacht. Ich lugte um die Ecke der Langengasse. Die Hauptmasse der Piraten hielt sich in der Nähe des Wagens auf. Die meisten Jungen hatten Kartoffeln wurfbereit in der Hand, um vor Überraschungen sicher zu sein. Oskar und seine Adjutanten steckten die Köpfe zusammen und knobelten wohl gerade eine neue Kriegslist aus.
    Plötzlich sah ich auf der gegenüberliegenden Seite den kleinen Heinz, der sich unbemerkt in das Eckhaus schlich. Ich wunderte mich darüber, denn er hatte bisher tapfer seinen Mann gestanden. Ich sollte nicht lange im Ungewissen bleiben. Mit einem Mal öffnete sich, schräg gegenüber von uns in der Langengasse, ein Fenster im ersten Stock. Gleich darauf steckte Heinz vorsichtig den Kopf heraus und guckte auf die Straße hinunter. Die Langengasse ist an der Endhaltestelle der Bahn außergewöhnlich eng, der Wagen stand ziemlich nah unter dem Fenster, das Heinz Himmel soeben aufgemacht hatte. Die Piraten ahnten nicht, was über ihren Köpfen vorging. Sie passten scharf auf, dass wir nicht plötzlich um die Ecken gestürmt kämen. Heinz kletterte jetzt auf das Fensterbrett. Ich hielt den Atem an. Er ist verrückt geworden, dachte ich erschrocken. Plötzlich sprang er mit einem tollkühnen Satz über den klaffenden Abgrund auf das Dach der Elektrischen. Er fiel lang hin, richtete sich blitzschnell wieder auf und kroch auf den Knien bis an den Rand des Wagens. Dann ließ er sich geschickt wie ein Affe herunter, baumelte eine Sekunde über der Straße, gab sich einen tüchtigen Schwung und landete mit einem Plumps auf der Plattform. Die Piraten starrten ihn entgeistert an. Bevor sie sich von ihrer Verblüffung erholt hatten, packte Heinz Himmel die Handbremse und löste sie. Der Wagen setzte sich langsam rückwärts in Bewegung und rollte immer rascher die abschüssige Straße hinunter. Heinz’ heldenhafter Handstreich war gelungen. Mit einem Schlage hatte er die uneinnehmbare Festung den Piraten entrissen und eine heillose Verwirrung unter

Weitere Kostenlose Bücher