Tims gefährlichster Gegner
bewegte: Erleichterung, dass
seine Tochter die gefährliche Situation unbeschadet überstanden hatte. Und auch
dass Tim nichts passiert war, in dem er völlig zu Recht seinen künftigen
Schwiegersohn sieht.
Carlo Biju stand dabei wie ein
Häufchen Elend.
Wespe schlug Tim auf die
Schulter. »Großartig, Häuptling, dass du dich diesmal unter Kontrolle hattest.«
»Was meinst du, Gangsterjäger?«
»Du hast auf Kickboxen und
andere Tätlichkeiten verzichtet.«
»Mann, Wespe, ich bin doch
nicht behämmert. Den Helden spiele ich nie. Helden sind fast immer behämmert.
Sie checken die Lage nicht. Wenn ich eingreife, dann habe ich den vollen
Überblick.«
»Das meine ich ja. Sonst hätten
deine Beine jetzt Luftlöcher.«
Tim begrüßte Gabys Vater. »Ihr
Assi, Herr Glockner, sollte mal einen Crashkurs in Menschenkenntnis machen. Wir
ärgern uns nun schon so lange miteinander rum, und er weiß immer noch nicht,
wie edel mein Charakter beschaffen ist.«
»Hauptsache, Gaby weiß es«,
lachte Glockner. Dann wurde er ernst. »Ihr habt die Täter gesucht?«
»Aber keine Spur entdeckt.
Wären wir auf sie gestoßen, hätten wir uns natürlich fern gehalten. Dass ich
Gaby keiner Gefahr aussetze, ist doch mein inneres Gesetz.«
»Ich entdecke da eine gewisse
Zufriedenheit in deiner Miene, Tim.«
Der TKKG-Häuptling grinste.
»Der kleinere Täter hat ein verkürztes Bein. Links. Er trägt einen Schuh mit
dicker Sohle und erhöhtem Absatz.«
»Ausgezeichnet. Noch was?«
»Sie haben den Schmuck in einen
braunen Leinenbeutel gesteckt. Der hat eine Aufschrift, die mir allerdings
Rätsel aufgibt. Und zwar: eine Drei — dann großes L, großes T, großes L.
Darunter stand ein Wort, das so anfing: V — i — l — n — i. Mehr konnte ich
nicht lesen.«
»Bravo!« Gabys Vater war
beeindruckt. »LTL ist die Abkürzung für Litas, die litauische Landeswährung.
Ein LTL — das sind 100 Centas. Vilni — das heißt natürlich Vilnius, das
litauische Wort für die Hauptstadt Wilna.«
»Jetzt fällt mir ein«, rief
Carlo Biju, »woran mich die Aussprache, der Akzent, erinnert hat. Natürlich! An
Litauen. Ich war mal dort. Vor Jahren. Die beiden sprechen zwar sehr gut
Deutsch, aber der Akzent ist litauisch.«
»Mit diesen Hinweisen können wir
arbeiten«, nickte Glockner.
Gaby sah ihren Freund an. »Ich
kann nur staunen über deine Kaltblütigkeit. In so einer Situation kannst du so
was beobachten?«
»Das ist sein Charakter, Gaby«,
meinte Wespe mit todernster Miene. »Dein Freund ist ein eiskalter Hund. Am
besten, du machst mit ihm Schluss und heiratest mich, sobald du 18 bist.«
Gaby verzog das Gesicht.
Glockner und Biju lachten.
Tim sagte: »Herr Glockner,
bitte geben Sie mir für einen Moment Ihre Pistole. Ich will Wespe erschießen.«
»Aber nicht mit meiner
Dienstwaffe«, wehrte Glockner lachend ab. »Die habe ich gerade frisch geölt.«
»Es tut mir richtig Leid«,
sagte Biju, »dass ich jetzt eine schlechte Nachricht für dich habe, Tim. Nicht
nur Gaby wurde beraubt. Auch du bist ein Opfer. Sie haben deine Tüte mit dem
Blazer mitgenommen.«
Tim glaubte, er hätte sich
verhört.
Gaby begann zu kichern, was
eine Art von Galgenhumor war. »Oh, Männer! Das ist nicht unser Tag. Mein
Ohrring, meine Cabochons und jetzt auch noch Tims neues Gewand, das Sabine und
ich mit so viel Begeisterung für ihn ausgesucht haben. Schrecklich! Sind
wenigstens unsere Handys da, was die Eisgesichter ja immerhin versprochen
haben?«
»Da haben sie Wort gehalten«,
erwiderte Biju. »Eure Handys liegen dort in der leeren Vitrine.«
Tim fiel noch was ein. »Haben
Sie schon festgestellt, wie hoch Ihr Verlust ist, Herr Biju?«
»Nur überschlägig. Aber es ist
mit Sicherheit Schmuck für über 400 000 Euro.«
8.
Verbrechen liegt in der Familie
Tims Vermutung traf ins
Schwarze. Er hätte stolz sein können auf seinen Durchblick. Jurij und Algirdas,
die Eisgesichter, hatten tatsächlich sofort nach dem Überfall ihr Äußeres
verändert.
Alles war zuvor sorgfältig
ausgekundschaftet worden: das dunkle Durchhaus, wo sie Hüte und Masken in einem
Abfallcontainer entsorgten und die Jacketts wendeten. Die Wendejacke von
Algirdas, dem Kleineren, war auf der anderen Seite dunkelblau, die von Jurij,
der Tims Hosenbein mit der Pistolenkugel durchlöchert hatte, war schokoladenbraun.
Jurij besann sich allerdings
anders. Er nahm Tims Blazer aus der Dresscode-Tüte und probierte
ihn an. Die Jacke passte ihm nicht so gut wie Tim, war in den
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