Tinnef
lebendiger war der Gedanke an ihre liebliche Oberweite, die sich mit einem Mal in seinen Armbeugen befunden hatte, nachdem er beim Versuch, Marie Caroline von der Rodel zu heben, seine eigenen Kräfte überschätzt hatte.
Am Sonntag waren die Dinge dann schon ganz von allein in die richtige Richtung gelenkt worden. Der gemütliche Spaziergang durch die Schwarzenbergallee hatte beinahe zwangsläufig in seiner Wohnung geendet, weil Marie Caroline sich doch von der Winterkälte aufwärmen musste. Bei der unweigerlich nötigen Tasse Tee war man sich dann noch näher gekommen, und mit einer bislang ungekannten und vor allem immer noch anhaltenden Euphorie konstatierte Bronstein, während er sein Schreibzeug auf dem Schreibtisch ordnete und auf Pokorny wartete, dass es mitunter keines Kuraufenthaltes in Baden bedurfte, um Nachhilfeunterricht in der Anatomie des weiblichen Körpers zu erhalten. Der kleine Herr Bronstein war immer noch ganz enthusiasmiert, und Bronstein selbst musste sich eingestehen, dass er seit Stunden derart debil grinste, dass er konsequenterweise in das Nachbarhaus des Herrn von Baumgarten eingewiesen werden sollte.
Apropos Baumgarten. Es galt, endlich wieder dem Fall Mészáros Aufmerksamkeit zu widmen. Seit fünf Tagen stand in dieser Frage alles still, und jeder Ermittler wusste, dass die Spuren in einem Verbrechen mit jedem Tag, der verstrich, kälter wurden. Also musste in dieser Angelegenheit dringend Terrain gutgemacht werden. Wo nur dieser Pokorny blieb?
„Bitte schön, eine Schale Gold. Sogar mit Schlagobers. … Das war gar nicht leicht zu organisieren.“
Wie aufs Stichwort hatte Pokorny die Tür geöffnet und kredenzte Bronstein frisch zubereiteten Kaffee. Nach einem Augenblick der Überraschung nickte Bronstein anerkennend und nahm die Tasse dankbar entgegen.
„Also, lieber Pokorny“, begann er dann, „es geht um den Fall Mészáros.“ Er setzte seinen neuen Mitarbeiter in groben Zügen über die ganze Sache in Kenntnis, wobei er sich darüber wunderte, dass dieser ihn kein einziges Mal unterbrach, und sei es auch nur durch Vorbringen einer redundanten Anekdote. „Und da wir jetzt das Pouvoir haben, uns ausnahmslos diesem einen Vorfall zu widmen, schlage ich vor, wir gehen das in ganz großem Stil noch einmal an. Als Erstes begeben wir uns i n Mészáros’ Wohnhaus und verhören die anderen Parteien, dann …“
„… vernehmen!“
„Wie bitte?“
„Vernehmen. Die Parteien vernehmen wir. Verhören tun wir nur Verdächtige, und das auch nur hier vor Ort.“
Bronstein war kurz irritiert. Konnte es tatsächlich möglich sein, dass sein Untergebener ihn gerade ausgebessert hatte? „Dem Vernehmen nach werden wir sie verhören“, sagte er mit einem unüberhörbar satirischen Unterton. „Und außerdem sollten wir uns auch mit der Gemeinde ins Einvernehmen setzen, in welcher er heimatberechtigt war. Vielleicht gibt es dort ja Verwandte von ihm oder sonstige Leute, die etwas über ihn sagen können. Und schließlich müsste es uns irgendwie gelingen, seine letzten Tage und Stunden zu rekonstruieren. Nur so wird es uns möglich sein, zu erfahren, ob Mészáros wirklich Grund hatte, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen, oder ob hier, wie ich nach wie vor vermute, ein Verbrechen vorliegt.“
„Im 97er Jahr“, begann Pokorny unvermittelt, „haben wir eine Frauenleiche in Kaisermühlen am Donauufer g’funden. Es war schnell klar, wer die Tote war. Und es hat sich herausg’stellt, dass die ein Pantscherl mit einem verheirateten Mann g’habt hat. Und wie der sie, das haben Zeugen bestätigt, loswerden hat wollen, hat sie ihn erpresst. Sie hat g’sagt – vor Zeugen, wohlgemerkt –, sie sagt alles seiner Frau.“ Abrupt verstummte Pokorny.
„Und?“, fragte Bronstein nach einer Weile.
„Nichts und. Wir haben den Mann natürlich festgenommen und ordentlich verhört“, erklärte Pokorny, wobei er das letzte Wort besonders betonte, „doch der hatte ein ebenso hieb- und stichfestes Alibi wie seine Frau.“
„Na und weiter?“
„Wir haben ihr gesamtes Umfeld durchleuchtet. Mit ihren Freunden und Verwandten geredet, die anderen Hausbewohner einvernommen“, wieder eine Betonung auf dem letzten Wort, „nichts. Einfach nichts.“
„Also doch Selbstmord?“
Pokorny sah von seinem Kaffee auf und Bronstein direkt in die Augen. „Das wissen wir bis heute nicht.“
„Na, sehr aufbauend. Genau solche Geschichten brauche ich“, meinte Bronstein säuerlich.
„Davon habe
Weitere Kostenlose Bücher