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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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beim Kochen - dreißig Jahre war sie damals. Zu viel Zeit verbrachten sie allein miteinander. An langen Winterabenden spielten meine Tochter und der Junge im Wohnzimmer das Spiel mit den Grießkörnern und verschütteten Geld- und Kleiehäufchen. Oder sie las ihm ein Reisebuch vor. Meinen Ramusio, den ich ihr auslieh, habe ich nie wieder gesehen. Und mit dem Kopf auf ihrem Schoß fiel Iseppo in den Schlaf.
    Der Geselle kehrte immer vor seinem Meister heim. Marco Augusta hielt sich meist bis spät in den Abend im Laden auf. Letzten Endes ist er ein Fremder geblieben, und wer weiß schon, was wirklich im Kopf eines Fremden vorgeht. Er verbrachte jedoch nicht seine Zeit damit, Schmuckstücke zu feilen. Im Gegensatz zu mir hat er sich nie mehr Arbeit als nötig aufgehalst - häufig gewiss weniger. Einmal schickte er sogar einen Kunden weg, der
wegen eines goldenen Nachttopfs gekommen war.«Ich mache keine Nachttöpfe», fertigte er ihn verächtlich ab,«ausschließlich Ohrringe, Fingerringe und Ketten.»«Mir gefällt aber, wie Ihr das Gold bearbeitet», ließ sich der Kunde nicht beirren,«ich möchte, dass Ihr mir den Nachttopf anfertigt.»Marco Augusta setzte ihn vor die Tür.«Ein Idiot, denn wer Kacke in Gold hineinlegt, legt auch Gold in Kacke hinein», sagte er. Doch ich hielt seine Ablehnung für einen dummen Fehler und merkte an, dass selbst Kacke zu Gold werden könne. Da Marco Augusta mich falsch verstand, erwiderte er abfällig, dass die Alchemie, die ihn interessiere, nichts mit den Betrügern zu tun habe, die aus Steinen Gold zu machen hofften, sondern eine Wissenschaft sei, die nach dem verborgenen Sinn aller Dinge forsche.
    Steiners Kollegen, die seine merkwürdige Arbeitsweise nicht verstanden - oder die ihn möglicherweise fürchteten, weil er Deutscher war und die deutschen den venezianischen Juwelieren Konkurrenz machten -, unterstellten ihm Zauberei: Nach Ladenschluss setze er sich an Experimente mit dem Anakitid, einem Stein, den außer ihm keiner in Venedig je zu sehen bekommen hat und der angeblich die Eigenschaft besaß, Dämonen und Geister zum Sprechen zu bringen und die Toten sich offenbaren zu lassen. Als Marco Augusta ihn entließ, streute Iseppo das Gerücht, Steiner nehme bei Neumond in tiefster Nacht seinen Bimsstein in die eine und einen Magneten in die andere Hand und lege sich den Schneckenstein unter die Zunge, der die göttliche Kraft der Weissagung verleihe. Vielleicht verbreitete er aber nur aus Groll derartige Lügen. Was der Juwelier nach Sonnenuntergang getan hat, weiß ich nicht. Nur dass er die Zukunft nicht vorherzusagen vermochte, dass die Toten so wenig mit ihm wie mit mir sprachen und dass er damals nach der Arbeit keine Eile verspürte, zu ihr nach Hause zu kehren.
    Iseppo fragte mich ohne Umschweife, ob ich ihm etwas von Marietta geben könne.«Oh, kein Schmuckstück», stellte er klar,«bloß
einen Knopf, eine Klammer, eine Nadel, irgendeinen wertlosen Gegenstand.»Iseppo ist ein eleganter junger Mann geworden, trägt eine prunkvolle Silberkette um den Hals und einen Hut mit Feder. Mein Funke wäre stolz auf ihn.«Ich denke stets an Signora Marietta, Maestro», beteuerte er, während seine Finger mit der blauen Hutfeder spielten.«Ich will nicht unverschämt auf Euch wirken, aber Eure Tochter war mir wie eine Mutter und Schwester, eine Lehrerin und die einzige wahre Dame, der ich je begegnet bin. Das ist die Wahrheit. Ich kann Venedig einfach nicht ohne ein kleines Andenken an sie verlassen. Eine Art Glücksbringer. Ich hätte Euch gern schon damals darum gebeten, Maestro. Vielleicht hat sie mich in ihrem Testament bedacht. Sie war so großzügig und hatte mich gern, ich kann mir nicht vorstellen, dass sie nicht an mich gedacht hat. Als die arme Signora von uns ging, fehlte mir der Mut zu fragen. Signor Steiner hatte mich ja entlassen, und ich fürchtete, dass seine Abneigung gegen mich dadurch erneut aufflammen könnte.»
    In der Tat fand ich sein Verhalten unverschämt. Letzten Endes war er lediglich ein Geselle. Ich wechselte das Thema und fragte ihn, was er sich von Augsburg verspreche. Es sei eine deutsche Stadt, in der ausschließlich Deutsche wohnten. Wie er in Venedig feststellen könne, seien die deutschen Juweliere ausgezeichnet, und es werde gewiss nicht einfach für ihn sein, seine Auftraggeber um den Finger zu wickeln, wie er es ausdrückte. Davon abgesehen sei Augsburg eine Stadt wie jede andere, während Venedig einzigartig sei.
    Iseppo erwiderte, dass

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