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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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Gesicht.«Ich zieh dir deinen Schwanz lang, du kleines widerliches Stück Dreck!», keifte Marietta und fiel über ihn her.«Verschwindet, alle beide», mischte ich mich ein und warf sie aus der Werkstatt.
    Wie ich später erfuhr, gingen sie in der Küche zum Duell über - sie mit einem Bratenspieß, er mit einem Schaumlöffel -, bis sie auch die Köchin kreischend aus ihrem Reich warf:«Ich werd euch einen überbraten und die Kehle durchschneiden, ungezogene Mistviecher!»Sie machten im Hof weiter. Marietta kratzte ihm das Gesicht blutig. Marco brachte sie mit Leichtigkeit zu Boden, wo er sich rittlings auf sie setzte und ihr drohte, sollte sie noch einmal so respektlos mit ihm umgehen, den Pinsel in ihren Po zu stecken und sie wie ein Huhn mit Kacke zu beschmieren. Seit Menschengedenken hätten Frauen den Männern gedient, daher würde er niemals auf die Idee kommen, ihr zu dienen, nie, nie und nochmals nie. Da sich Marietta unter ihm losgetreten und herausgewunden hatte, packte er sie am Haarschopf, zog sie hinter sich her, stieß mit einem Fußtritt die Haustür auf und warf sie kurzerhand in den Kanal.
    Dominico eilte Hilfe rufend zu mir. Da ich aber nicht schon vorher eingeschritten war, unternahm ich auch jetzt nichts. Marietta musste lernen, sich Respekt zu verschaffen. Wenn sie tatsächlich eine Malerin werden wollte, würde sie sich noch oft gegen solche Phrasen verteidigen müssen. Marco hatte genau das laut ausgesprochen, was die meisten Männer dachten. In dem morastigen Wasser umherstrampelnd, versuchte Marietta, sich an einem glitschigen Bootsrand festzuhalten - Marco stand dagegen
breitbeinig am Ufer, triumphierte ohne einen Funken Reue. Mit einem Schilfrohr hielt er sie von den Stufen auf die Fondamenta fern:«Wird’s ein wenig frisch um deinen Allerwertesten, ist dein Loch schon zugefroren, du blöde Gans?»Als Dominico ihr ein Seil zuwarf und seine Schwester ächzend aus dem Wasser zog, spuckte ihm Marco ins Gesicht und fauchte:«Du Verräter, Scheißkerl, elendige Drecksschabe!»
    Ich versagte Marco zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit, ein Künstler zu werden. Ich nahm in unter meine Fittiche in der Hoffnung, ihm würde es mit der Zeit gelingen, seine mühselig ans Tageslicht dringenden Begabungen zu entfalten. Die Tür zu meinem Atelier stand für ihn jederzeit offen. Häufig stellte er meine Geduld auf die Probe, aber genauso wie die Dutzend anderen jungen Leute, die sich jahrelang an meiner Seite abwechselten, habe ich ihn nie geschlagen. Hin und wieder bestrafte ich ihn, gerecht und gemäß den Pflichten eines Vaters, damit aus ihm ein Mann wurde. Und stets mit gebotener Strenge und gemäß den Pflichten eines Maestros, damit er Achtung vor seinem Beruf erlernte. Doch auf meine Gerechtigkeit und Strenge antwortete er mit Feuer.
     
    Er war sechzehn. Ein schwieriges Alter, in dem man sich von den Ufern der Kindheit verstoßen und in das kalte Wasser der Erwachsenen geworfen fühlt - unbeholfen, unfähig und fehl am Platz. Das kenne ich alles, alle meine Söhne haben es nach mir durchgemacht. Keiner hat jedoch so reagiert wie Marco. Die anderen trieben durch die Jahre der Jugend mit ihren Krisen und Stürmen und kamen verbeult oder ein wenig verändert wieder heraus: Bei Marco hat man dagegen den Eindruck, als wäre er noch immer sechzehn und hätte beschlossen, nicht älter zu werden. Bis heute weiß ich nicht, warum er es getan hat und was er eigentlich damit erreichen wollte. Ob er mir mit diesen Flammen eine Botschaft übermitteln wollte - womöglich eine Liebeserklärung. Jungen wie er sind nicht in der Lage zu sagen, was sie fühlen, und wenn sie
es tun, sagen sie genau das Gegenteil dessen, was sie eigentlich meinen.
    Jahre später sagte mir Dominico, dass ich ihn nicht vor allen anderen hätte zurechtweisen dürfen - ihn öffentlich auf seine Mittelmäßigkeit hinzuweisen habe ihn gedemütigt. Doch was hätte ich tun sollen? Er besaß bereits das Privileg, mein Sohn zu sein. Hätte ich seine Schlampigkeit und seine Fehler toleriert, die ich auch bei meinen Gehilfen nicht hinnahm, hätte ich meine Autorität verloren. Ich verlangte von ihm nicht mehr, als ich von allen anderen verlangte - aber auch nicht weniger. Marco sollte eines meiner Werke so nachmalen, dass es aussah, als hätte ich es gemalt. Es war der Tempelgang Mariens . Das Motiv hatte nicht ich mir ausgesucht; die Bitte um eine Kopie war an mich herangetragen worden, ein Wunsch aus Rom. Zu jener Zeit waren alle meine jungen

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