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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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Madonna im Glorienschein, eine Auferstehung, etwas, das dem Ort, an dem er bis zum Jüngsten Gericht ruhen würde, angemessen wäre. Sein Auftrag aber lautete Die Versuchung des heiligen Antonius .
    Er erzählte, er habe mit so vielen Senatoren, Prokuratoren, Inquisitoren und Dogen verkehrt, dass er sein Leben lang von der
Versuchung der Macht und des Ruhmes besessen gewesen sei. Nun aber habe er diese Versuchung gestillt und sie sei nicht mehr da. Die Versuchung des Fleisches dagegen quäle ihn noch immer. Und derzeit, da seine rechte Hand gequetscht und gelähmt sei, noch viel stärker als in jungen Jahren. Als junger Mann habe es ihm genügt, die Lust zu stillen, indem er seinen Körper befriedigte. Jetzt könne er seinen Körper nur noch unter Einsatz größter Qualen und Strapazen besänftigen, daher versuche er, seine Begierde mit der Kraft der Einbildung zu stillen.«Aber die Phantasie, Maestro, ist wie ein Feuer. Man kriegt sie nie gelöscht. Deswegen ist das Alter die grausamste Versuchung. Ich weiß nicht, ob Ihr mich versteht, aber ich möchte, dass Euer Bild davon erzählt. Was Ihr darüber hinaus malen wollt, Jacomo, ist ganz Euch überlassen, zeigt Euch von Eurer besten Seite und kauft Farben von höchster Qualität. Wegen der Ausgaben braucht Ihr Euch keine Sorgen zu machen. Ich werde für alles aufkommen.»
    Dieses Bild - dem ich ein paar Tage Arbeit zu widmen gedachte - nahm meine Vorstellungskraft ein ganzes Frühjahr in Beschlag. Meinen Auftraggeber steckte ich in das Gewand des Heiligen. Seine Versuchung war also die Begierde. Der Augenblick, den ich darstellen wollte, war der Kampf - der Moment, in dem der nicht mehr ganz junge, aber noch im vollen Besitz seiner körperlichen Kräfte und von Dämonen besessene Mann kurz davor ist nachzugeben. Allein Christus’ göttliches Einschreiten, der kopfüber vom Himmel herabstürzt, hindert ihn daran, sich zu vergessen. Niemand hatte das Bild bislang zu sehen bekommen. Niemand wusste, dass ich die Gewohnheiten der Maler und der Betrachter durcheinandergebracht hatte. Denn, Herr, letztendlich sind es doch immer dieselben Geschichten, die sie haben wollen. Wenn wir sie aber so erzählen, wie sie schon einmal erzählt wurden, sagen sie uns nichts, rühren uns nicht an. Und ein Bild, das seinen Betrachter nicht bewegt, ihm nicht das Gefühl vermittelt, darin verwickelt zu sein - in die Geschichte und als Teil
von ihr -, interessiert mich nicht. Aus diesem Grund muss man die Regeln brechen, Gewohnheiten verkehren, Erwartungen enttäuschen und dabei gleichzeitig alles unglaublich menschlich und wahr werden lassen. Allein so ergibt die Malerei für uns einen Sinn, allein darin liegt ihre Bedeutung.
    Nun, den Dämonen, die Antonius bedrängen, gab ich ein jugendliches, weibliches Antlitz. Frauen entblößen ihn, indem sie ihm die Kleider vom Leib reißen. Auch sie tragen fast nichts und erstrahlen in jugendlichem Glanz. Eine von ihnen reibt sich an seinem Körper, berührt ihn und hält dem Heiligen - der zum Himmel blickend versucht, sie nicht zu beachten - ihren Busen hin. Ich malte die weiblichen Dämonen mit geschlossenen Augen. Sie waren mir vortrefflich gelungen. Vielleicht weil ich ihre Verlockungen kenne. Denn in der heroischen Kraft des Heiligen erkannte ich mich wieder. Ich hatte gerade feine, weiße Nadelköpfchen gemalt, die die Perlenkette einer Dämonin darstellten, deren entblößte Brust von einem dunklen Tuch umhüllt wurde, als ich mich zum Ausruhen auf den Teppich legte. Ich fiel in einen derart tiefen Schlaf, dass mich der Brandgeruch nicht aufweckte. Als der Qualm aber den Flur erfüllte, die Treppen hinaufschwebte und unter den Türen hindurchquoll, wurden meine Kinder wach.
    Sie baten weder die Nachbarn um Hilfe, noch schickten sie nach einem Trupp Werftarbeiter und ihren Wasserschläuchen zum Feuerlöschen. Möglicherweise hofften sie, den Brand allein und ohne dass ich etwas merkte, löschen zu können. Doch da es in jener Nacht warm gewesen war, hatte Faustina die Fenster aufgelassen: Der Luftstrom schürte die Flammen, die sich an die Tücher hefteten, mit denen die Wände ausgekleidet waren. Die Tür zum Atelier hatte das Feuer nicht zurückzuhalten vermocht; es hatte sich auch ins Treppenhaus ausbreiten können.
    Als mich die zusammenkrachenden Gegenstände ringsum und die unerträgliche Hitze endlich weckten, war die Tür bereits eingetreten worden.«Was ist los?», rief ich und sprang auf. Vor
mir stand meine halbnackte Dämonin -

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