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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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Fehler mit seiner Jugend - jener Jugend, die ich nie erlebt habe. Ich ließ ihn seine Freiheit ausleben - eine Freiheit, die bei mir durch Beruf, Familie, Ehre und Pflicht immer geringer geworden war. Sehr früh ließ ich es bleiben, irgendetwas von ihm zu verlangen. Für all seine Scherereien kam ich auf: Frauen, gaunerhafte Kumpane, Falschspieler, Prozessrichter. Ich verhinderte, dass er wegen Schulden ins Gefängnis musste, oder weil er bei einem dummen Wettrennen gegen eine andere Gondel gestoßen war und dabei ein Passagier zu Tode kam. Anzeigen ließ ich im Sand verlaufen, ich rettete seine Ehre - und meine. Ich zwang ihn nicht zu studieren - und er tat es auch nicht. Nicht einmal zu arbeiten zwang ich ihn. Auf die Idee zu malen ist er alleine gekommen.
    Er hätte Soldat werden, bei irgendeiner Armee anheuern sollen. Der Verlauf der Geschichte hat es jedoch nicht gut mit ihm gemeint: Er kam zu spät auf die Welt. Zur Zeit der Heiligen Liga in Lepanto war er neun Jahre alt, und als wir die uskokischen Piraten in Bedrängnis brachten, erst fünfzehn. In Friedenszeiten konnte er lediglich Söldner oder Scherge werden. Aber Marco wollte keinen Dienst an einem Herrn tun, auch nicht am Papst oder Kaiser - er diente einzig seinen Launen und seiner Wut. Ob es ihm gefallen würde, die Bühne zu betreten, sich eine Maske aufzusetzen und Lügengeschichten zu erzählen? Faustina rümpfte die Nase bei der Vorstellung, einen Komödianten zum Sohn zu haben, es schickte sich ihrer Meinung nach nicht. Mir aber gefallen die Theaterleute: Sie können von Hof zu Hof durch Italien und Europa ziehen, sich dabei amüsieren und aufrichtig ihr täglich Brot verdienen. Allabendlich hätte er die Rolle des aufschneiderischen Soldaten namens Il Capitano spielen und auf dem Rücken seines Knechts den Stock kaputthauen können. Ehrlich gesagt, riet ich ihm sogar dazu. Marco war es, der meinte, dass den Hanswurst zu spielen die traurigste Sache der Welt sei, denn wer andere Leute zum Lachen
bringe, habe vom selben Moment an sein persönliches Lachen aufgegeben. Träume habe er keine mehr, was ihn allerdings nicht im Mindesten störe. Wenn aber Marietta und Dominico es zum Maler geschafft hätten, dann könne er es auch.
    Doch Marco hat meine Regeln nie akzeptiert. Er widersetzte sich ihnen vom ersten Tag an. Meine Söhne waren immer eifersüchtig - erst auf Marietta, dann aufeinander. Rivalitäten und Neid haben ihre Kindheit vergiftet und ihrem Selbstvertrauen auf ewig geschadet. Das konnte ich jedoch damals nicht wissen. Als er in meine Werkstatt kam, war er bereits zwölf Jahre alt. Da ich bis dahin die Hoffnung hegte, ein Studium könnte seinen Charakter zähmen, hatte ich ihn in die Lateinschule geschickt. Marco aber hatte seine Bücher zu Geld gemacht und sich Helm und Lederpanzer gekauft, um zusammen mit den Fischern von San Nicolò und den Schlachtern von Cannaregio an den sonntäglichen Faustkämpfen auf Venedigs Brücken teilzunehmen. Das Einzige, was er in der Schule lernte, war, die Autorität des Lehrers zu untergraben.
    Als Marco dazustieß, hatte sich in meiner Werkstatt eine bestimmte Hierarchie gefestigt: Marietta und Dominico waren meine Assistenten, und er war der Gehilfe. Seine Aufgaben bestanden darin, den Raum in Ordnung zu halten, den Boden zu putzen, die Pinsel zu säubern, die Lappen auszuwaschen und jeden Tag die abgeschabte Farbe der Paletten in Öl aufzukochen. Mindestens zwei demütigende Lehrjahre hätten verstreichen müssen, ehe er einen Stift in die Hand nehmen und sich daranmachen durfte, zeichnen zu lernen. Marietta malte bereits ihre ersten Portraits und pinselte die Hintergründe, Hände und Kleider meiner Modelle - ich beschränkte mich auf die Gesichter.
    Als Dominico in der Werkstatt angefangen hatte, gab es kein Aufbegehren. Ruhig, wie er war, hatte er nie etwas auszusetzen. Wie ein ergebener Page folgte er Marietta auf Schritt und Tritt und schützte sie vor den anderen und wohl auch vor mir. Marco dagegen ertrug es nie, an zweiter Stelle nach einer Frau zu stehen.

     
    Wenn ihn Marietta anwies, die Stifte anspitzen zu gehen, gab er beleidigt zurück, dass ein Stier sich nicht von einer Kuh reiten lasse, sie solle doch im Hühnerstall, wo ihr wahrer Platz sei, herumgackern.«Oh, oh, das Pferdchen hebt sein Schwänzchen!», lachte Marietta völlig unbeeindruckt.«Leck mich doch, wenn ich am Kacken bin, du blöder deutscher Bastard», sagte Marco herausfordernd und warf ihr die Schürze ins

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