Tintorettos Engel
und durchbohrte sie mit dem Schwert. Ich versuchte, mich mit klugen Köpfen zu umgeben - er wandte sich dem Gesinde zu. Ich habe eine Familie gegründet - er lebt noch immer mit meiner. Ich wollte
unabhängig sein, ohne Lehrmeister und Herrn, und mir schon als Junge mein Leben selbst verdienen - er hängt mit zweiunddreißig Jahren noch immer von mir ab. Mit sechzehn begab ich mich auf die Jagd nach Werken alter Meister - er machte Jagd auf herumstreunende Katzen. Er sperrte sie in den Holzschuppen, ließ sie hungern und stachelte sie mit einem glühenden Schürhaken an, bis sie wild genug für den brutalen und grausamen Zeitvertreib wurden, den er den Söhnen der Senatoren spaßeshalber anbot. Obwohl in ihren Kreisen toleriert und auf ihren Sauftouren willkommen, ist er zu ihrem Hampelmann geworden. Die Väter dieser Jungen - Richter, Prokuratoren, Magistrate - erzählten mir:«Tintoretto, in Begleitung so etlicher bettelarmer Fischersleute von San Nicolò und gekleidet wie ein Bengel von der Straße, mit rotem Band um die Hüfte, hält Euer Sohn die Schüler am Eingang zur Lateinschule auf und nimmt Wetten entgegen. Dann binden sie die Katze so an einen Pfahl, dass sie Pfoten und Krallen frei bewegen kann. Wer sie mit einem Kopfstoß tötet, gewinnt den Einsatz.»Ein Spiel von unfassbarer Grausamkeit und Dummheit. Anfangs konnte ich es nicht glauben, aber mein Sohn kam tatsächlich mit zerkratztem und verwundetem Gesicht, allerdings ohne den Gewinn nach Hause, da Marco Katzen nicht für Geld umbrachte, sondern um sich selbst umzubringen - oder mich.
Er hat mich in jeglicher Hinsicht gekränkt - sowohl mit seinem Benehmen als auch mit Worten. Er umgibt sich mit vornehmen Müßiggängern, die nicht wissen, wie sie ihre Langeweile vertreiben sollen, und dem Abschaum der Welt - Halbwüchsige, Schergen und Sträflinge. Am Tag - wenn er arbeiten müsste - schläft er, und nachts verschleudert er rastlos Geld, als könnte er wie seine Freunde aus einem Fass ohne Boden das familiäre Erbe schöpfen. Er kaut und schnüffelt jegliches von allen erdenklichen Kontinenten der Erde stammende Gemisch, das das menschliche Hirn durcheinanderbringt, die Selbstkontrolle ausschaltet und moralische Werte umstürzt. Und all das, während er über Jahre hinweg
zu Hause und in Gesellschaft die ihm zugewiesene Rolle spielte. In Venedigs privaten Theaterhäusern übte er mit den Truppen seiner Freunde. Nach und nach ist er ein großer Schauspieler geworden, das kann ich nicht leugnen. Mit Vergnügen wird er uns betrogen haben. Er hat sich über meine Überzeugungen, Ideale und mein Vorhaben lustig gemacht. Und ich verschaffte ihm Zutritt in die Rochusbruderschaft: ihm, nicht meinem treuen Dominico. Er begleitete mich zu den Versammlungen und schien angesichts der Strenge der Einrichtung in demutsvollen Respekt zu verfallen: In Wahrheit war er vom Opium benebelt und besänftigt. Er benahm sich anständig und tat so, als interessierte er sich für die Gespräche über die Wachsqualität der Kirchenlichter: Dabei versuchte er herauszubekommen, wo sich der Tresor befand. Er bot sich freiwillig an, die Moral der armen, heiratsfähigen Mädchen zu überprüfen, die am Losverfahren für die Aussteuer teilnahmen: Nachdem er bei den Vätern einen guten Preis für das Los ausgehandelt hatte, trickste er anschließend bei der Verlosung.
Er wandte sich von meiner Welt und meinem Umfeld ab. Mit großer Verachtung beschimpfte er uns als«eitle Pharisäer»,«widerliches, geldgieriges Pack»,«plündernde Händler». Er lehnte sich gegen all meine Ratschläge, mein Vorbild, mein Leben auf. Sein tägliches Dasein schien darin zu bestehen, mich zu zerstören. Heute ist mir klar, dass er es nur darauf abgesehen hatte, dass dies sein einziges Ziel war, das er sich jemals gesetzt hat. Und wenn es ihm nicht gelang, dann deswegen, weil ich schon seit Langem mit ihm gebrochen hatte - ich ertrage, erleide ihn, habe ihn aber wie einen Floh von mir abgeschüttelt. Herr, ich liebe ihn nicht mehr, und doch kannst du mich nicht dafür tadeln.
Ich weiß nicht, welches Unrecht ich beging, mit dem ich seinen Aufstand verdiente. Marco war der Letzte meiner Söhne, die ich zum Mann heranwachsen sah. Nie habe ich ihn für besser gehalten, als er ist, mit ihm war ich nicht so nachsichtig wie mit Zuane - wusste ich doch, dass Sanftmut meinen jüngsten Sohn von mir
entfernt hätte; so fordernd und streng wie mit Dominico war ich allerdings auch nicht. Ich rechtfertigte seine
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