Tintorettos Engel
umkränzt von einem flackernden Heiligenschein. Ihre Schultern waren unbedeckt, ein dunkles Tuch umhüllte sie. Ich rieb mir die Augen. Ich dachte, es sei ein Traum. Dabei hatte mir Marietta eine Schüssel kaltes Wasser ins Gesicht geschleudert.«Jacomo», sagte sie leichenblass und starrte auf meinen brennenden Hemdsärmel,«du brennst.»
Im Qualm erkannte ich Schila - mit nacktem Oberkörper und barfuß -, der eimerweise Wasser über den Boden kippte, und Dominico, wie er nasse Tücher auf die Gipsfiguren und Leinwände warf. Ich stieß sie zur Seite und rannte tropfend und noch schlaftrunken aus dem Atelier. In diesem Moment dachte ich weder an meinen unschätzbaren Tizian noch an meine wertvollen Abdrücke aus Gips, Bronze und gebranntem Ton, noch an meine Wachsmodelle und auch nicht an meine zauberhafte Dämonin. Ich dachte vielmehr an meinen kleinen gotischen Palazzo, an mein Haus, den Traum meines Lebens: Ich hatte es noch nicht einmal vollständig abbezahlt. Ich dachte an meine Frau, an die schutzlosen Kinder. Die holzverkleideten und mit vergoldetem Leder tapezierten Wände im Treppenhaus boten dem Feuer reichlich Nahrung. Faustina und die Kinder waren schutzsuchend auf den Altan geflüchtet. Die kleine verschlafene Ottavia weinte. Ich drückte sie allesamt so lange an mich, bis sie sich wieder beruhigt hatten.
Dann ging ich ins Atelier zurück. Noch immer glaubte ich an einen Unfall. Schließlich kam so etwas häufig vor. Selbst der Dogenpalast hatte wenige Monate zuvor Feuer gefangen. Heute ist mir klar, dass genau dieser Brand mit dem so heftig beklagten Verlust meiner Gemälde meinen Sohn auf die Idee gebracht hat, ihn nachzuahmen - und mir einen viel größeren Schaden zuzufügen -, doch in jenem Augenblick hegte ich nicht die Spur eines derartigen Verdachts. Brände waren Schicksalsschläge. Venedig brennt ständig.
Unten im Atelier löschte Schila die letzten Brandherde. Marco
saß auf der Treppe. Reglos wie ein Schlafwandler inmitten des Gewirrs. Er stürzte nicht wie Zuane halbnackt zum Kanal, um sich wie ein Wasserträger einen Bottich nach dem anderen auf die Schultern zu stemmen, obwohl er noch ein kleiner Junge war. Er schlug nicht wie Marietta mit Teppichstücken auf Möbel und Leinwände. Tatenlos und abwesend, schien Marco völlig woanders zu sein.«Steh auf», schrie Dominico und schüttelte ihn,«hilf uns doch, tu irgendwas!»
«Die Strafe folgt auf die Sünde wie die Regentropfen auf den Donner», dozierte Marco, als ich auf ihn zuging.«Du solltest auf die Knie fallen und um Vergebung bitten. All das ganze Wasser aus dem Kanal wird nicht reichen, um die Flammen der Hölle zu löschen, die dich erwartet.»«Bist du wahnsinnig geworden?», schrie Dominico ihn an und fügte bestürzt über das Geständnis hinzu:«Du hättest ihn umbringen können, uns alle hättest du umbringen können!»
Marco bestritt nichts.«Begreifst du nicht?», hob er erneut an und sah enttäuscht zu, wie die Flammen auf dem Boden immer kleiner wurden.«Solange er lebt, bin ich tot, bist du tot, sind wir alle schon tot.»Dominicos Faust traf ihn mitten ins Gesicht. Ich beachtete sie nicht, alle beide. Die Schläge vernahm ich wie im Traum. Im Vorzimmer hatte das Feuer die Vorhänge, die Teppiche auf den Truhen und einen Arazzo versengt - und der gesamte vergoldete Lederbezug war zu einem schwarzen, übel stinkenden Haufen zusammengeschrumpft. Meine Kinder hatten den Brand gelöscht, bevor er ernsthaftere Schäden anrichten konnte. Aber das Feuer hatte in meinem Atelier gewütet, und langsam wurde mir bewusst, dass es möglicherweise meine Versuchung zerstört hatte.
«Schmeiß ihn raus», brüllte ich Dominico an,«in meinem Haus hat dieser niederträchtige Kerl nichts mehr zu suchen.»Marco rührte sich nicht von der Stelle. Durch die Rangelei mit seinem Bruder war eine alte Narbe wieder aufgeplatzt, aus der ihm nun
von der Augenbraue Blut über Nase und Wange lief. Er blieb einfach auf den Stufen sitzen, hielt noch nicht einmal die Wunde zu.«Dominico irrt», sagte da Marietta,«es war ein Unglück. Vielleicht ist ein Funke von dem Kerzenlicht übergesprungen.»
Die Wände meines kleinen Holzhauses, in dem ich über Jahre hinweg in verkleinertem Maßstab die Perspektiven für meine Bilder nachgestellt hatte, waren zusammengebrochen - und die kleinen, nun rußgeschwärzten Pappmachéfiguren lagen verstreut in der Gegend herum. Ich stolperte über eine von einem weißen Laken bedeckte, unbewegliche Gestalt, die
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