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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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meiner Freundschaft als Geschenk überlassen, da er meinem Sohn geholfen habe, als er Hilfe brauchte. Er solle es behalten für den Fall, dass Marco ein anderes Mal bei ihm Geld leihen würde. Aber Salomon blieb eisern, handelte es sich schließlich um ein Gemälde.«Selbstverständlich», merkte ich an,«was anderes besitzen wir nicht.»
Vielleicht sei es ein Bild, um das es mir leidtäte.«Das, worum es mir leidtut, habe ich bereits verloren», antwortete ich ihm. Wir reichten uns die Hand und gingen auseinander. Er mit seinem und ich mit meinem Sohn.
    Das ist das Letzte, was ich für Marco tun werde. Mein Sohn ist mir ein Kreuz, an dem ich schwer zu tragen habe. Vielleicht war es das, was der alte Jude mir mitteilen wollte. Auf jeden Fall war es das, was Marietta mir sagte. Marco trägt tagtäglich sein eigenes Kreuz. Und das bin ich.
     
    Ich rief nach meinem Sohn. Wir redeten weder über die Cohens noch über die Schulden, geschweige denn über das Gemälde, das er in seiner Niedertracht verpfändet hatte. Ich warf ihm nicht sein Leben vor, das für mich zu einer Last und Schande geworden ist. Ich machte ihm keine Vorhaltungen wegen all der Dinge, die ich für ihn getan und erduldet habe. Das würde er ohnehin nicht verstehen: Wahrscheinlich wird er keine Kinder haben, für deren Wohlergehen und Glückseligkeit er die Schuld bezahlt, die er nicht für mich gezahlt hat. Daher hielt ich es nicht mit dem Vogel aus der Geschichte: Ich ließ den dritten Sohn ins Meer fallen. Soll er doch mit seinen eigenen Armen schwimmen - oder ertrinken.
    Ich gab ihm zu verstehen, dass ich schwerkrank sei, was er vermutlich nicht sehr bedaure.«Und wie ich deinen Tod bedauern werde», fiel er mir mit sarkastischem Unterton ins Wort,«denn wenn ich erst einmal erfolgreich bin, wirst du an meinem Triumph nicht mehr teilhaben können.»«Du wirst nie erfolgreich sein», erwiderte ich,«du bist viel zu durchschnittlich, selbst ein glücklicher Zufall würde nicht ausreichen. Bestenfalls wirst du eine einigermaßen lobenswerte Kopie einer meiner Arbeiten schaffen, schlimmstenfalls malst du sie derart sklavisch und ungeschickt ab, dass du nur Gelächter und Verachtung erntest. Das musst du akzeptieren, wie auch das, was du bist. Widerstand macht alles nur noch schlimmer, es nützt nichts, gegen sich selbst zu kämpfen.»
Als ihm das Blut ins Gesicht stieg und die Ader an seiner Schläfe anschwoll, merkte ich, wie hart ich ihn getroffen hatte.
    Dann sagte ich ihm, es gehe mittlerweile nicht mehr um mich oder um ihn. Die Zeit dränge. Wenn er nicht in der Lage sei, nach meinem Ableben mit seiner Mutter und Dominico in Frieden leben zu können, dann müsse er gehen, und zwar auf der Stelle - ich wolle wissen, ob er ihnen hinterher die gleiche Last wäre wie mir. Wenn ich nicht mehr da sei, müsse sichergestellt sein, dass nicht noch andere kämen, die ihm Geld geliehen hätten und sich bei meiner Familie bedienen wollten. Ich müsse wissen, dass meine Frau, Dominico und die Mädchen nicht das Haus verkaufen müssten, um seine Schulden zu bezahlen, oder auch mein Land, meine Gipsabdrücke, meine Kopien von Michelangelo und Giambologna, Tizians Dornenkrönung , die Gemälde meines unglückseligen Freundes Schiavone, die von Paolo Veronese oder meine .
    Marco unternahm keinerlei Anstalten zu widersprechen. Er schien sogar erleichtert zu sein. Er schnürte sich die Halskrause um und hakte sein kurzes Jäckchen zu. Eine Reihe goldener Troddel glitzerte grell auf seiner Brust. Seit Wochen, vielleicht Monaten zieht mein Sohn weder einen Malerkittel an, noch nimmt er einen Pinsel in die Hand. Er hat glatte Hände und saubere Fingernägel - wie ein Aristokrat. Er entgegnete, dass dort, wo der Tyrann Cäsar herrsche, der Held Brutus sei - und wo ein Mörder herrsche, sich der Feind seine Hände in Unschuld wasche. Ich sagte ihm, er solle mich mit seinen schülerhaften Sprüchen verschonen. Sie würden mich nicht beeindrucken.
    «Maestro», sagte er daraufhin,«du hast mir nicht nur das Malen beigebracht, ich bin in allem dein Schüler gewesen. Von dir habe ich gelernt, die Heuchelei rechtschaffener Pedanten zu verachten. Doch du hast deine Lektionen verlernt. Denn du bist einer von denen geworden, die du mich zu verachten lehrtest. Einer von jenen, die dich jahrelang ausgeschlossen, abgelehnt und
bekämpft haben. Dich, der unverdaulich wie ein Schluck Gift war, haben sie gezähmt, verschlungen und verdaut. Du, der das Geld verachtet hat, bist ihm nun

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