Tintorettos Engel
die besten, kurzum, ich ziehe dem Reichtum die Qualität vor - die Schönheit. Eine Entscheidung, die auch Ihr getroffen habt, Maestro, das müsstet Ihr verstehen.»Ich ließ mich jedoch nicht dazu herab, ihn als meinesgleichen anzusehen, und ging nicht darauf ein.
Marco Augusta schien den Handel nicht abschließen zu wollen. Doch da ich schon Hunderte Bilder verkauft habe, sind mir die Techniken der Sammler durchaus vertraut. Sie tun so, als ob sie das, was sie am heißesten begehrten, nicht haben wollen. Damit versuchen sie, den Preis zu drücken. So läuft das. Und Marco Augusta wollte Marietta haben. Eine solche Gelegenheit würde sich ihm nie wieder bieten.
«Nun gut», schloss der Deutsche nach einer Weile und bemühte sich, ohne Gesichtsverlust ungezwungen zu wirken,«wir waren beim Umfang der Aussteuer stehen geblieben.»Er wisse, dass Comin Marietta in seinem letzten Testament unter der Voraussetzung, dass sie Marco heirate, mit fünfzig Dukaten bedacht habe. Da aber der sechsundachtzigjährige Onkel auch die letzte Operation gut überstanden habe und sich derzeit bester Gesundheit erfreue, besitze er keine Gewissheit, wann er das Geld erben würde. Sicherlich würde er es aber, da nichts gewisser als der Tod sei und da jedes menschliche Leben, wie lang auch immer, irgendwann zu Ende gehe, im Lauf der nächsten vier oder fünf Jahre bekommen. Was aber seien schon fünfzig Dukaten in fünf Jahren? Ein
Almosen. Jedes arme, sittsame Mädchen in Venedig könne diese Summe als Aussteuer von einer Bruderschaft erhalten: Wenn ihm La Tintoretta fünfzig Dukaten einbringe, könne er sich genauso gut ein Waisenkind aus der Pietà oder die Tochter eines Webers nehmen, da könne er sich wenigstens eine Fünfzehnjährige aussuchen - eine naive, unbefleckte Jungfrau. Um eine Frau wie Marietta zu heiraten, sei dagegen etwas ganz anderes nötig! Sein Haus - davon könne ich mich mit eigenen Augen überzeugen - sei für die Tochter von Jacomo Robusti nicht gemacht. Er lebe zur Miete in einem einzigen engen und lauten Zimmer ohne Austritt. Für Marietta, die es gewohnt sei, ihr eigenes Atelier zu haben und in einem eleganten, von Licht und Sonne durchfluteten Palazzo zu leben, stelle das eine albtraumhafte Veränderung dar. Wenn sich aber die Aussteuer, die ich ihr mitgäbe, auf eine ansehnliche Summe belaufe - eintausend Dukaten, aber auch etwas weniger würden ausreichen -, würde der Juwelier eine ihrem Ruhm und seiner Ehre entsprechende Unterkunft erwerben können. Ob ich meiner Tochter wenigstens siebenhundert Dukaten mitgeben würde? Er erkläre sich auch bereit, die eine Hälfte in bar und die andere in Form von Kleidern, Möbeln und Haushaltsgegenständen anzunehmen.
Ich hätte das Geld gehabt, Herr. Die Rochusbruderschaft hatte vor Kurzem mein Angebot angenommen und mein Projekt für gut befunden. Die getroffene Übereinkunft stellte beide Seiten zufrieden. Ich würde drei Bilder im Jahr für sie malen - das hieß natürlich für dich -, bis die Decken und Wände im Salon des ersten Stocks und im Erdgeschoss vollständig mit Gemälden bedeckt wären. Insgesamt würden es fünfzig Bilder werden, von denen mindestens zwanzig acht Ellen lang und fast genauso hoch sein würden. Im Gegenzug beschenkten mich die Ordensbrüder jedes Jahr mit einem festen Gehalt von einhundert Dukaten, das ich auch dann noch bekäme, wenn ich mein Vorhaben beendet und die gesamten Wände der Schule mit meinen Arbeiten ausgekleidet
hätte. In den kommenden Jahren konnte ich mich daher der Ausarbeitung meiner Ideen, der Auswahl der Episoden, Geschichten und Figuren und ihrer Anordnung auf den Bildern widmen. Niemals würde ich wieder im Ungewissen oder in der Angst leben müssen, die Gunst der Öffentlichkeit zu verlieren. Und wenn ich es mir noch so sehr mit meiner Art bei den Mächtigen verscherzte. Selbst wenn meine Zunge mir Feinde schaffte, eine Lähmung meine Hand stilllegte und meine Familie ins Elend trieb. Mein Einkommen übertraf nun das meines Schwagers, Faustinas Bruder. Der Maler hatte den Notar überholt: Mein Sieg über die Vorurteile und den Götzendienst in Robe, dem sich das Bürgertum verschreibt, war errungen. Eine üppige Aussteuer für meinen Funken passte jedoch nicht in meinen Plan. Marco Augusta wollte ich kein Geld geben. Damit hätte er sich auf der Stelle von mir loslösen können.
Ich gab ihm zu verstehen, dass Jacomo Robusti - so wie der König von Spanien oder der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches -
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