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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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Lungen. Der Zauber vergangener Tage zerriss mich innerlich. Ich war schweißgebadet und wischte mir unentwegt über die Stirn. Mariettas große Anspannung wurde von den Trauzeugen zwar wahrgenommen, jedoch dem Anlass zugeschrieben. Das blumengeschmückte Schiff des Hochzeitspaars trieb gemächlich voran, vorbei an den Pfählen, die den Kurs vorgaben. Wenige Ruderschläge vor der Landung beugte sie sich an mein Ohr und flüsterte:«Versprich mir, dass sich nichts ändern wird, dass es nicht aus und vorbei ist - versprich mir, dass du mich nie fortschickst.»
    Ich hatte alles sehr eilig in die Wege geleitet. Ich wollte mir nicht die Zeit lassen, es mir noch einmal zu überlegen. Marietta und der Juwelier hatten sich nur noch ein zweites Mal gesehen: am Tag ihrer Verlobung. Marietta trug das weiße Jungfernkleid, das auch auf ihrem Portrait zu sehen ist. Er hatte ihr die Perlenkette geschenkt.«Ist sie nur geliehen?», neckte sie ihn.«Ja», erwiderte Marco.«Sie gehört dir, solange du mich liebst.»
    Anfang Juni hatte ich Marco Augusta einen Besuch abgestattet, um mit ihm den Heiratsvertrag aufzusetzen. Der Deutsche wohnte am Campo San Polo im Palazzo Corner. Vor seiner Haustür musste ich mich durch das Getümmel zwischen den Marktständen schlagen, an denen Gänse, Hunde und Pferde feilgeboten wurden. Eselsgekreische, Pferdewiehern, Gesang und Lärm begleiteten unser Gespräch. Und ich sagte mir: Heute ist wahrhaftig Markt, Jacomo. Denn unsere Unterredung hatte durchaus etwas von einer gewieften Verhandlung - mit List und Geduld handelten Käufer und Verkäufer einen Preis aus. Der Verkäufer war ich. Ich war dabei, Marietta zu verkaufen. Wenngleich ich plötzlich nicht mehr sicher war, ob ich sie kaufte oder verkaufte, da mein Geschäft in Wahrheit ein Schwindel war - was der Juwelier jedoch nicht merken durfte.

    Marco Augusta wollte wissen, auf welche Summe sich Mariettas Mitgift belief. Mein alter Onkel Comin und dessen Gefährtin Franceschina Steiner hatten ihm die Vermählung mit Marietta auf höchst hinterlistige, aber verlockende Weise angeboten - und doch war er nicht davon überzeugt, dass es sich um ein gutes Geschäft handelte. Und wenn eine Hochzeit kein gutes Geschäft ist, warum sollte dann ein junger Mann auf seine Freiheit verzichten und heiraten? Marietta Tintoretta war eine ganz besondere Frau, wer hätte sich nicht geehrt gefühlt, die Tochter des großen Meisters heiraten zu dürfen? Allerdings war sie schon über vierundzwanzig Jahre alt und damit reif, erfahren und unabhängig - genau die Art von Frau, die niemand haben wollte. Obendrein war sie ein uneheliches Kind, und besser als er wusste ich, dass eine solche Herkunft auf der Welt einen unauslöschlichen Makel darstellte. In Venedig hegte so mancher Zweifel an ihrer Abstammung, und immer würde es jemanden geben, der aus Eigennutz, Neid oder anderen Gründen schwören würde, dass sie nicht meine Tochter sei.
    Wie dem auch sei, als Tochter eines Malers war sie frei und unbekümmert in einem offenen Haus aufgewachsen, in dem Männer ein- und ausgingen. Als Malerin selbst lernte sie Menschen jeder Art kennen und verkehrte mit Männern, die sie mit Geschick und Verführungskunst zu unterhalten vermochte, was sich jedoch für eine Ehefrau nicht geziemte, ihr vielmehr schadete. In solchen Fällen verlangen die Heiratskandidaten meist, dass eine Amme die versprochene Braut aufsucht und sich ihrer Jungfräulichkeit versichert, aber da Marco Augusta einem Meister wie mir eine solche Schmach nicht antun konnte, verzichtete er darauf. Dennoch war ihm die Rolle, die von ihm zu spielen verlangt wurde, nicht klar. Seine Ehre und sein Ansehen waren ernsthaft in Gefahr, hätte man doch annehmen können, er fungiere lediglich als Vorwand.
    «Von welcher Ehre sprechen wir hier?», unterbrach ich ihn barsch und fragte weiter, für wen er sich eigentlich halte, dass er
sich anschicke, über Mariettas Ruf zu diskutieren. Ein Fremder sei er, ein deutsches Waisenkind. Einer, der, um sich Respekt zu verschaffen, seinen nichtssagenden, barbarischen Namen - Steiner - hinter dem seiner Stadt verstecke. Wie könne er sich anmaßen und Bedingungen diktieren. Er besitze doch nicht einmal eine eigene Werkstatt, sondern sei lediglich ein schlecht bezahlter Angestellter. Sein Umsatz sei lächerlich.«Weil ich ausschließlich Steine von ausgesprochener Qualität verwende», verteidigte er sich und sein Ansehen.«Ich habe hohe Ausgaben für deren Beschaffung und nehme nur

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